Dass sich Frauen in Gegenwart von Männern unwohl fühlen, wird immer mehr ein öffentliches Thema. Sei es, weil sie sich weiblich kleiden, Blicke auf sich ziehen oder einfach als das vermeintlich schwächere Geschlecht gelten. Diskriminierung und Belästigung können jede Frau treffen. Auch Cindy ist das passiert. Bis vor Kurzem hat sie auf der Straße gelebt: „Ich habe jetzt ein Zimmer bekommen – nach sieben Jahren“, freut sich die 41-Jährige. „Ich bin echt glücklich drüber!“
Einmal im Monat besucht sie das „FLINTA*-Frühstück“, ehemals Frauenfrühstück im Abrigado, einer Beratungs- und Konsumstelle mit eigener Ambulanz für drogenkonsumierende Menschen. Die Anlaufstelle gibt es bereits seit 30 Jahren in Harburg. Cindy kommt schon länger: „Was mir sehr guttut und mir auch sehr gut gefällt.“ Vor allem schwärmt sie von den beiden Mitarbeiterinnen, die das Angebot betreuen: Jacqueline Moses ist Sozialarbeiterin und Melanie von Stein Krankenschwester.
Beide unterstützen mit ihrem Know-how vor allem drogenkonsumierende FLINTA-Frühstück“ ein Schutzraum und Rückzugsort, beschreibt Melanie von Stein. „Es ist viel entspannter, auch außerhalb vom Gewusel, vom Alltag, weil sonst wirklich viel los ist. Einen ruhigen Ort zu haben, wo man vielleicht mal ein Eins-zu-Eins-Gespräch führen kann, ist eine Chance.“
Diesen Raum und das Vertrauen der anderen schätzt auch Cindy, die jedes Mal, wenn sie ansetzt, von ihren Erfahrungen auf der Straße zu erzählen, eine brüchige Stimme bekommt. „Ich kann aus meiner Erfahrung erzählen: Ich habe mich vielen Männern anvertraut, auch in meiner Vergangenheit“, erinnert sich Cindy. „Und ich bin ganz oft damit auf die Fresse gefallen. Die haben es ausgenutzt und mich psychisch und seelisch kaputt gemacht, um mich zu zerstören.“
So wie Cindy geht es vielen Frauen auf der Straße. Auch wenn sie selbst darüber nicht ins Detail gehen mag, sind ihre Erfahrungen und ihre Gefühle sichtbar. Deswegen sei so ein feministischer Schutzraum wie das „FLINTA*-Frühstück“ wichtig, betont Moses. „Die Frauen sind auf der Straße ja noch vulnerablere Gruppen. Und gerade solche frauenspezifischen Angebote gibt es viel zu wenig.“ Dennoch nutzen das Angebot nicht alle Gäste im Abrigado selbstverständlich. Daher sprechen Moses und ihre Kollegin von Stein die Personen gezielt an.
Das Angebot ist nicht nur eine Mahlzeit. Es bietet auch die Möglichkeit, sich einmal in Sicherheit und Ruhe hinzusetzen. Von Stein berichtet aus den Erzählungen ihrer Gäste: „Sie müssen hier nicht über ihre Schulter gucken, sich fragen: ‘Wer kommt hinter mir? Was passiert hier?’“ Austausch gibt es auch unter den Gästen, aber der stehe nicht im Vordergrund, meint Cindy. „Viele kommen hier rein, die reden nicht. Die sitzen hier einfach, um abzuschalten, über Dinge nicht nachdenken zu müssen.“ Und vor allem ist eines wichtig: „Dass hier keine männlichen Wesen anwesend sind.“
Bei jedem Frühstück gebe es eine Kleinigkeit für jede Person: Nagellack, Gesichtsmasken, Accessoires. Das sorgt für einen kurzen Wohlfühlmoment. Ab und an kommen auch Friseurinnen vorbei. „Zu sehen, wie die Frauen empowered rauskommen, mit ihrer neuen Frisur und einer ganz anderen Ausstrahlung, ist wirklich schön“, beschreibt Melanie von Stein. Mit dieser Energie gibt Cindy ermutigend an andere „FLINTA*-Personen“ weiter: „Dass sie einfach, auch wenn sie sich nicht trauen oder Angst haben, diese Chancen nutzen sollten, um hier herzukommen, um für sich sicher zu sein und zu reden.“