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Schinkels “Normalkirche”

Bei dem verheerenden Bombenangriff vom 16. Januar 1945 wurden viele Magdeburger Kirchen hart getroffen – und neun von ihnen nicht wieder aufgebaut. Zu denen, die den Feuersturm trotz einiger Schäden überstanden haben, gehört die Kirche St. Nicolai im Stadtteil Neue Neustadt, die am Donnerstag ihren 200. Weihetag gefeiert hat. Zum Jubiläum hat die Kirchengemeinde eine komplette Festwoche geplant.

St. Nikolai ist aus verschiedenen Gründen ein besonderer Kirchenbau – nicht nur wegen des klassizistischen Baustils als Gegenentwurf zum Barock, sondern auch wegen ihres berühmten Architekten: kein Geringerer als der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), der unter anderem die Potsdamer Nikolaikirche, das Berliner Schauspielhaus und die Neue Wache der Nachwelt hinterlassen hat.

Für Schinkel war St. Nicolai in Magdeburg der erste Kirchenbau – und dieser wurde neben einer Kirche in Nakel (Posen) zu einem Prototyp, der zahlreichen anderen Gotteshäusern in Preußen als Vorbild dienen sollte: die sogenannte Normalkirche, ein klassizistischer Bau mit Rundbogenfenstern an den Längsseiten. Der Innenraum ist mit Pfeilern unterteilt, hat an den Längsseiten Emporen und ist mit einer Holztonne überwölbt.

Der Kunsthistoriker Christian Scholl von der Universität Hildesheim befasst sich nicht nur wissenschaftlich mit St. Nicolai, der gebürtige Magdeburger hat auch eine persönliche Verbindung zu dem Schinkel-Bau. Sein Vater sei in der Gemeinde Pfarrer gewesen, erzählt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Schon als Kind habe er sich persönlich mit Schinkel und dessen Architektur beschäftigt. Die Verbindung besteht bis heute: Sein Bruder ist Kantor in der evangelischen Nicolaigemeinde.

Der Kirchenbau sei in eine ganz entscheidende Phase von Schinkels Wirken gefallen, berichtet Scholl. Mehrere Jahre konnte Schinkel davor wegen der napoleonischen Besatzung nicht arbeiten. Das Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt entstand zeitgleich mit St. Nicolai. Damals habe er begonnen, eine sehr programmatische, klassizistische Bildungsarchitektur zu bauen, sagt Scholl. Der Baumeister sei aus der Tradition des deutschen Idealismus gekommen, habe sich etwa an Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Friedrich Schiller (1759-1805) orientiert. Ihm sei es darum gegangen, dass man an einer schönen, freien Architektur selbst zu einem besseren Menschen werde. „Das war wirklich ein neuer Anspruch, aber Schinkel hatte immer auch ein starkes Traditionsbewusstsein“, betont Scholl.

Dabei musste Schinkel bereits bei der Planung der Magdeburger Kirche zahlreiche Abstriche machen. Ursprünglich soll er einen gotischen Bau geplant haben, doch der sei den Verantwortlichen zu teuer gewesen. Diese Auffassung ist aber inzwischen in der Forschung umstritten, sagt Scholl: „Es ist nicht mehr ganz klar, ob der Entwurf wirklich zur Nicolaikirche gehört.“ Auch mit einem zweiten Entwurf scheiterte der Baumeister – die Türme waren dem Stadtkommandanten zu hoch, er befürchtete feindliche Einblicke in die Festung. Erst rund 20 Jahre nach Einweihung wurden sie schließlich erhöht. Die Kirche funktioniere architektonisch gar nicht so schlecht, meint Scholl: „Ich kenne unfunktionalere Schinkelbauten.“

Davon ist auch der Pfarrer der Nicolaigemeinde, Johannes Möcker, überzeugt. „Natürlich ist sich die Gemeinde bewusst, dass ihre Kirche architektonisch eine Besonderheit darstellt“, erzählt der Geistliche. Sie sei insbesondere auch als Konzertort bedeutsam. Die Kirche habe eine hervorragende Chorakustik, sodass hier viele Konzerte stattfinden, beispielsweise die jährlichen Schinkelmusiktage im Mai – drei Tage mit Musik, die Schinkel gemocht habe oder die aus seiner Zeit stammt.

In diesem Jahr stünden alle Konzerte in der Kirche im Zeichen des Jubiläums, sagt Möcker. Um den 200. Weihetag, den 10. Oktober, werde es eine komplette Festwoche geben – mit zwei Gottesdiensten, Konzerten und einer großen Festveranstaltung. Dabei werde sich eine Luftartistin von der Kirchendecke abseilen. „Das wird ein bunt gemischtes Programm für Alt und Jung“, verspricht der Pfarrer.