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Demenz: Eine Clownin schenkt Nähe und schöne Momente

Als Clownin „Rosalore“ besucht Susanne Bötel demenzerkrankte Seniorinnen und Senioren in Pflegeeinrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Ein Beitrag zum Welt-Alzheimertag am 21. September.

Als Clownin besucht Susanne Bötel Einrichtungen für Senioren in Hamburg und Schleswig-Holstein
Als Clownin besucht Susanne Bötel Einrichtungen für Senioren in Hamburg und Schleswig-Holsteinepd-bild/Evelyn Sander

Susanne Bötel zieht ihre gepunktete Strumpfhose hoch, zuppelt ihren Tüllrock zurecht und setzt ihre rote Nase auf. „Rosalore“ heißt sie jetzt, heute besucht sie demenzkranke Menschen in der ASB-Tagespflege in Hamburg-Langenhorn. „Man weiß vorher nie, was einen erwartet“, sagt die 60-Jährige und wickelt sich die rosa Federboa um den Hals. Im Raum ist es eher still, gerade wurde gefrühstückt. Mit „Rosalore“ ist jetzt Schluss mit der Ruhe.

Bötel hockt sich neben eine ältere Frau, lugt unter den Tisch. „Ach, so viele schöne Beine!“, ruft sie. Es wird gelacht, sie kramt ihre Musikbox hervor und spielt den alten Schlager „Die Beine von Dolores“. Dann kommt „Rote Lippen soll man küssen“ und Bötel schwoft mit Seniorinnen und Senioren zwischen Sofa und Kaffeetisch. Sie lächeln, andere singen mit, manche bleiben in sich versunken.

Dreijährige Ausbildung zur Clownin

Seit über zehn Jahren ist die ausgebildete Clownin nebenberuflich in Senioreneinrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein unterwegs. Als „Rosalore“ trägt sie natürlich Rosa, mit altmodischer Bluse, weitem Rock, Zöpfchen und Blume im Haar. Schon als Kind wollte sie Schauspielerin werden, lernte aber einen „anständigen“ Beruf und arbeitet bei einer Versicherung. Eher zufällig kam sie zur Clownerie, machte eine dreijährige Ausbildung und spezialisierte sich auf ältere und demente Menschen. Demenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten, die unter anderem mit dem Verlust des Erinnerungsvermögens einhergehen.

Mittlerweile träten immer mehr Clowns in Pflegeeinrichtungen auf, heißt es vom Verein Rote Nasen Deutschland in Berlin. „Seit Corona ist die Nachfrage nach Clowns in Pflegeeinrichtungen viel größer geworden“, sagt Sprecherin Elisabeth Fajt. Aktuell laufe auch noch ein Pilotprojekt mit Humortraining für gestresste Pflege-Teams. Für ältere Menschen waren die 95 Künstlerinnen und Künstler des Vereins bundesweit in 89 Pflegeeinrichtungen unterwegs. Jedes Jahr gebe es 30 bis 40 Anfragen von interessierten Einrichtungen. „Der Bedarf steigt“, sagt Fajt.

Kein Wunder: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wächst seit Jahren, bundesweit gibt es etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz und jährlich kommen rund 445.000 Neuerkrankungen im Alter ab 65 Jahren hinzu, so das Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein. Laut seiner Hochrechnung lebten Ende 2024 in Schleswig-Holstein über 70.000 Menschen mit Demenz, in Hamburg sind es schätzungsweise etwa 35.000.

Dass der Einsatz von Demenz-Clowns in Senioreneinrichtungen sinnvoll ist, hat die „CAsHeW“-Studie der Technischen Hochschule Deggendorf wissenschaftlich belegt. Clown-Visiten steigern demnach das Wohlbefinden, bringen Freude in den Pflege-Alltag, lenken von Sorgen, Ängsten und Schmerzen ab. Positiv wirke zudem die zwischenmenschliche Nähe, hieß es.

“Rosalore” besucht regelmäßig 15 verschiedene Einrichtungen

Mit Luftballontiere-Knoten oder Jonglieren hat das nichts zu tun. „Was zählt, ist die Begegnung auf Augenhöhe, das Hier und Jetzt“, sagt Bötel, die rund 15 Einrichtungen regelmäßig besucht und sich immer wieder freut, dass sie von dementen Menschen wiedererkannt wird. Als „Rosalore“ pfeift sie auf Konventionen, es gehe allein um Gefühle und schöne Momente.

„Viele glauben, dass Menschen mit fortgeschrittener Demenz nichts mehr mitbekommen. Das ist falsch“, sagt Bötel. Die Emotionen sind noch da. Zudem gebe es neben Worten auch andere Wege der Kommunikation: „Mit Mimik, Gestik oder dem Wiederholen von sanften Tönen kann man demente Menschen erreichen“, sagt Bötel, die auch Humortrainings für Angehörige gibt.

Mit Musik und Tanz will Susanne Bötel als Clownin  Menschen mit Demenz eine Freude machen
Mit Musik und Tanz will Susanne Bötel als Clownin Menschen mit Demenz eine Freude machenepd-bild/Evelyn Sander

Als Clownin folgt sie immer ihrem ersten Impuls, greift Reaktionen direkt auf. Wird gemeckert, schimpft sie mit und versucht es positiv zu drehen. „Eine Frau sagte mal zu mir: Wie siehst du denn aus? Dein Rock ist ja ganz verknüddelt! Am Ende hat sie meinen Rock gebügelt“, schmunzelt Bötel, die auch tröstet und einfach Hände streichelt. „Wir müssen nicht immer lachen.“ Aber tanzen, das muss „Rosalore“ jedes Mal.

Für die Auftritte bei demenzkranken Menschen ist Bötel dankbar. Es mache sie glücklich, den alten Menschen in ihrer letzten Phase „schöne, sinnliche, freie Momente zu schenken“. Privat legt die 60-Jährige heute weniger Wert auf Oberflächlichkeiten oder Konventionen. „Wir sollten alle versuchen, offener mit Gefühlen umzugehen. Das können wir von Demenzkranken lernen“, sagt sie und nimmt für heute die rote Nase ab.