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Rosen für Europa: In Ecuador gründen Arbeiterinnen eigene Farmen

Gewächshäuser so weit das Auge reicht: Auch im Garten von Rosa Cualchi stehen die rund fünf Meter hohen Tunnel aus weißem Plastik. Die 55-jährige Ecuadorianerin züchtet Rosen auf ihrem halben Hektar Land direkt neben ihrem Wohnhaus. Hier in den Anden auf etwa 3.000 Metern Höhe wachsen die Blumen durch die direkte Sonneneinstrahlung, die heißen Tage und kühlen Nächte besonders gerade und langstielig, mit handgroßen Köpfen.

Ecuador ist weltweit einer der Hauptexporteure der beliebten Blumen. Rund die Hälfte der Produktion geht nach Europa. Viele Bewohner der kleinen Gemeinde Tupigachi, anderthalb Autostunden nordöstlich der Hauptstadt Quito, bauen Rosen an. Auch Cualchis Brüder.

Die ersten Rosenfarmen entstanden hier Ende der 1980er Jahre. Sie brachten Arbeit und Wachstum und erlaubten den Frauen eine gewisse Emanzipation. Doch die Löhne waren niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht. Deshalb nutzten ab Mitte der 2010er Jahre immer mehr Beschäftigte ihr Wissen, um eigene kleine Rosenfarmen aufzubauen.

Die Massenentlassungen während der Corona-Pandemie, insbesondere der älteren Beschäftigten, beschleunigten diese Entwicklung. Inzwischen soll es um die 5.000 kleine Blumenfarmen in der Region geben, zunehmend mehr Dörfer verschwinden unter weißen Planen.

Rosa Cualchi hat mehr als 30 Jahre in der Rosenernte gearbeitet. Als junge Frau sei sie für sechs Jahre auf einer Farm gewesen. „Doch als wir eine Gewerkschaft gründen wollten, um unsere Bedingungen zu verbessern, wurden wir alle entlassen und kamen auf eine schwarze Liste“, erzählt sie. Dennoch schaffte sie es, wieder Arbeit zu finden. 26 Jahre blieb sie in dem Betrieb. Dann habe die Geschäftsleitung 2020 einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgefordert, ein Dokument zu unterschreiben. „Sie sagten, es sei eine Arbeitszeitverkürzung, um uns während der Pandemie zu schützen, aber in Wirklichkeit war es unsere freiwillige Kündigung.“

„Dieses Vorgehen war gang und gäbe“, sagt Lorena Caluguillín, Anwältin bei der Gewerkschaft FTNE. Geschätzte 16.000 Menschen seien auf diese Weise von den Blumenfarmen ohne Abfindung entlassen worden, offizielle Zahlen gebe es jedoch nicht. Die Regierung nutzte zugleich die Pandemie, um die Arbeitsgesetze zu liberalisieren.

Als ehemalige Gewerkschafterin weigerte sich Cualchi zu unterschreiben und ging stattdessen vor Gericht. Die Abfindung, die sie mithilfe der Gewerkschaft erstritt, investierte sie in ihren eigenen kleinen Rosenbetrieb, so wie andere auch.

Doch die Ausbreitung der Monokulturen mit hohem Pestizid-Einsatz bringt auch Konflikte in die Dorfgemeinschaften und Familien. „Es gab lange Diskussionen“, erzählt Edison Tuquerrez, ehemaliger Vorstand der etwas östlicher gelegenen Gemeinde Paquiestancia. Er hatte die Erlaubnis zum Blumenanbau in der Vollversammlung durchgebracht und zieht eine positive Bilanz: „Die Blumenproduktion hat Wachstum in die Dörfer gebracht.“ Nun gebe es in Paquiestancia eine Eisenwarenhandlung und eine Schlosserei, und der Transport und die Restaurants hätten höhere Einnahmen.

Lilian Gualavisí sieht das anders. Sie lebt mit ihrer Tochter auf dem Bio-Bauernhof ihrer Mutter in der Gemeinde. „Wir haben hier nachhaltige Alternativen aufgebaut, zum Beispiel den Gemeindetourismus“, erzählt sie. „Wir hatten ein Tourismuszentrum, Gästezimmer in den Häusern, boten Ausritte an, Fahrrad- und Wandertouren, Stickereiwaren, wir erzielten Einnahmen.“ Doch mit den Gewächshäusern war Schluss. „Wer will schon dort wandern gehen, wo alles unter Plastik ist!“

Die Rosenzucht habe außerdem die Konflikte um Ressourcen verschärft, sagt Gualavisí, Vize-Präsidentin einer der wichtigsten Indigenen-Organisationen des Landes Ecuarunari. „Es gibt immer weniger Wasser, und die Blumenproduzenten wollen einen immer größeren Anteil.“ Zugleich steige wegen des vieles Plastiks das Überschwemmungsrisiko bei Regenfällen. Und die hochgiftigen Pestizide mitten im Dorf seien ebenfalls ein Problem. Einen weiteren Nachteil sieht Gualavisí in den hohen Anfangsinvestitionen von etwa 20.000 US-Dollar (rund 18.400 Euro) für eine Rosenzucht, durch die sich viele Dorfbewohner verschuldet hätten.

Auch Rosa Cualchi bestätigt: Einfach sei es nicht, die Preise pro Rose seien von etwa 40 auf 17 bis 20 Cent gesunken. Zudem zahlten die Mittelsmänner sehr unregelmäßig. Fast die Hälfte ihrer Einnahmen gingen zudem für Pestizide und andere Ausgaben drauf. Dennoch ist Cualchi zufrieden mit ihrer Entscheidung. „Ich bin zu Hause und kann nebenher meine Enkel hüten. Am Vormittag ernte ich, und am Nachmittag sprüht mein Mann die Pestizide.“ Zwar trage er auf Drängen der Tochter einen Schutzanzug, die Gasmaske jedoch nutze er nicht.