Leben und Menschenwürde müssen “immer verteidigt und bewahrt” werden, sagte Rios Kardinal Tempesta. Ein für die Armenviertel zuständiger Priester wird noch deutlicher: Menschen seien als “Kanonenfutter” benutzt worden.
Nach dem blutigen Polizeieinsatz gegen eine Drogenbande in Rio de Janeiro mahnen Kirchenvertreter in Brasilien den Schutz von Leben und Menschenwürde an. Diese seien absolute Werte und von Gott gegeben, wird Rios Kardinal Orani Joao Tempesta vom Portal Vatican News zitiert. Er rief dazu auf, Hass, Rachsucht und Gleichgültigkeit zu überwinden, die das soziale Gefüge zerrissen. Ähnlich äußerte sich der Vorsitz der Brasilianischen Bischofskonferenz.
Bei stundenlangen Feuergefechten zwischen Polizei und Mitgliedern der Bande Comando Vermelho am Montag und Dienstag starben nach jüngsten Angaben mindestens 130 Menschen. Es war der wohl blutigste Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundesstaates Rio. Bewohner des Armenviertels Penha im Norden der Stadt fanden am Mittwoch mindestens 70 Leichen in einem Wald. Die Polizei hatte zunächst von 60 getöteten Banditen und 4 toten Beamten gesprochen.
Die Leichen wurden von Anwohnern auf einem Platz im Viertel Penha aufgereiht, um sie zu identifizieren. Sie weisen laut Augenzeugenberichten Spuren auf, die auf unzulässige Hinrichtungen hindeuten. So sollen einige der Jugendlichen und Männer durch Kopf- oder Genickschüsse getötet worden sein. Ihre Hände seien hinter dem Rücken gefesselt gewesen.
Darauf angesprochen, sprach Rios Gouverneur Claudio Castro trotz der offensichtlich exzessiven Gewalt von einer erfolgreichen Polizeiaktion. Lediglich die vier getöteten Polizisten sehe er als Opfer an, so Castro. Rios Sicherheitssekretär erklärte, die Polizei habe die Bandenmitglieder absichtlich in das Waldstück abgedrängt, um die Bewohner der Region zu schützen. Dadurch sei der “Kollateralschaden” gering ausgefallen. Menschenrechtsorganisationen sprachen hingegen von einem Massaker.
Der Leiter der Favela-Seelsorge im Erzbistum Rio vermutet auch politische Motive für die massive Polizeiaktion. Sie habe dem nach höheren Ämtern strebenden Gouverneur Castro Aufmerksamkeit verschaffen sollen, sagte der Priester Luiz Antonio Pereira Lopes dem Portal “Crux”.
Bei den Getöteten habe es sich vor allem um “kleine Leute, Kanonenfutter” gehandelt, die im System des Drogen- und Waffenhandels keine wirkliche Macht hätten, so Lopes. Die großen Bosse lebten in gehobenen Wohnanlagen im Süden der Stadt. “Die Polizei würde niemals in diese Gebiete eindringen und wahllos auf die Menschen dort schießen”, sagte er.