Artikel teilen:

Rio im Kampf gegen kriminelle Organisationen

Im Vorfeld der Bürgermeisterwahlen intensiviert Rios Gouverneur die Bekämpfung krimineller Banden. Diese dominieren rund ein Fünftel der brasilianischen Stadt.

Zweitausend Polizisten und Spezialkräfte haben am Montag zehn Favela-Slums in Rio de Janeiro besetzt. Ziel sei es, die blutigen Machtkämpfe zwischen paramilitärischen Gruppen und Drogenbanden einzudämmen, erklärte die Regionalregierung. Die Polizei werde die Viertel “so lange wie nötig” besetzt halten. Zuletzt hatte das Erstarken der Drogenbande Comando Vermelho (Rotes Kommando) zu einer Zunahme der Gewalt im Teilstaat Rio de Janeiro geführt.

Am frühen Montagmorgen waren Polizeieinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen in die im Westen der Stadt gelegenen Armenviertel eingerückt. Sie räumten dabei Straßensperren an den Zugängen zu den Wohngebieten. Anders als bei früheren Einsätzen der Sicherheitskräfte kam es nicht zu Kämpfen. Erst Anfang des Monats waren bei einem Gefecht mit Kriminellen im Viertel “Cidade de Deus” (Stadt Gottes) sechs Personen ums Leben gekommen.

Das “Rote Kommando” war Ende der 1970er Jahre gegründet worden und galt lange als eine der mächtigsten Banden in Brasilien. Ab 2008 verlor es dank massiver Polizeiaktionen jedoch an Macht. Seit 2023 bringt die Bande nun besonders im Westen von Rio immer mehr Stadtviertel unter Kontrolle, die bis dahin durch paramilitärische Milizen kontrolliert wurden. Durch die Kämpfe stieg die Zahl der Morde 2023 nach jahrelangem Rückgang wieder an, und zwar um 7,5 Prozent auf rund 3.400 im gesamten Teilstaat Rio de Janeiro.

Die paramilitärischen Milizen waren in den 1980er Jahren im Westen von Rio durch korrupte Soldaten und Polizisten gegründet worden. Ursprünglich boten sie den Bewohnern Schutz vor kriminellen Banden an. Mittlerweile sind sie auch in anderen Wirtschaftszweigen tätig, wie dem illegalen Personentransport, kontrollieren den Handel mit Drogen, Kochgas oder Lebensmitteln, bieten eigene Internet-Dienste an und kassieren Schutzgeld.

Laut Untersuchungen der Universität Federal Fluminense aus dem Jahr 2023 werden derzeit knapp 20 Prozent der Stadt Rio von kriminellen Gruppen kontrolliert. Die Milizen sollen in rund 40 Prozent dieser Gebiete dominieren, der Rest, rund 60 Prozent, werde von Drogenbanden kontrolliert. Das “Rote Kommando” hat mit rund 52 Prozent der von Kriminellen dominierten Gebiete den größten Anteil. Rio de Janeiro hat rund 7 Millionen Einwohner, der Großraum über 13 Millionen.

Die Polizeiaktion diene der Rückgewinnung der Kontrolle durch den Staat, erklärte Gouverneur Claudio Castro. “Wir werden unsere Bevölkerung von einem Joch befreien, werden die öffentlichen Dienstleistungen wieder aufnehmen, die leider von den Kriminellen mit der Absicht genutzt wurden, Ressourcen zu beschaffen und Geld zu waschen.”

Bereits ab 2008 waren im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016 zahlreiche Favela-Slums von Polizeieinheiten besetzt worden. Ursprünglich als langfristige Besetzung angekündigt, wurde die Hälfte der Polizei-Stützpunkte mittlerweile wieder aufgegeben. Gouverneur Castro hält offiziell jedoch an dem Projekt fest. Medien berichten allerdings, dass die Polizei dort längst die Kontrolle an Milizen und Drogenbanden verloren hat.

Auch die großangelegte Aktion vom Montag verlief ohne großen Erfolg. Laut Gouverneur Castro sind zwar zwanzig Personen verhaftet worden, darunter fünf per Haftbefehl Gesuchte. Allerdings hätten sich viele Kriminelle zuvor in Sicherheit gebracht. So seien Details der Operation im Vorfeld an die Kriminellen durchgesteckt worden, erklärte der Gouverneur. Man werde interne Untersuchungen einleiten, um die Verantwortlichen ausfindig zu machen.

Castro braucht dringend Erfolge im Kampf gegen die Kriminalität. Im Oktober stehen Kommunalwahlen an, bei denen der amtierende Bürgermeister Eduardo Paes beste Aussichten auf eine Wiederwahl hat. Der von Castro unterstützte Gegenkandidat liegt in Umfragen dagegen deutlich zurück. Es handelt sich um Alexandre Ramagem, einen engen Vertrauten des rechtspopulistischen Ex-Präsidenten Jair Messias Bolsonaro.

Während dessen Amtszeit (2019-2022) war Ramagem Chef der Bundespolizei (Policia Federal) und des brasilianischen Geheimdienstes. Deshalb steht er derzeit im Zentrum mehrerer Ermittlungen der Justiz. So soll Ramagem im Auftrag von Bolsonaro politische Gegner und Richter des Obersten Gerichts ausspioniert sowie einen Sohn von Bolsonaro vor Ermittlungen geschützt haben. Castro soll sich laut Medien von der Nähe zum in Rio de Janeiro mächtigen Bolsonaro-Clan Unterstützung bei zukünftigen Wahlen versprechen.