„Jetzt sieht man mal, wie schön die Technik, wie schön die gesamte Orgel ist“, sagt Tristan Liebherz von der Freiburger Orgelbau-Werkstatt Hartwig und Tilmann Späth. Begeistert blickt sich der Süddeutsche auf der Empore der norddeutschen Rendsburger St.-Marien-Kirche um. Vor ihm der Spieltisch, an dem Kirchenmusiker Volker Linhardt zufrieden sitzt. Beide betrachten die Register, die bis ins alte Gewölbe der Kirche reichen. Wer möchte, kann das Instrument umrunden oder hineinschauen. Es ist die erste Gläserne Orgel, an der Liebherz mitgearbeitet hat. In Deutschland gibt es kaum vergleichbare Orte.
Ihre Gottesdienst-Premiere hat die Orgel am Reformationstag. Auch die neue Dauerausstellung zur Geschichte des Orgelbaus und der Orgelmusik in Schleswig-Holstein wird dann eröffnet. Die Marienkirche aus dem Jahre 1287 wird im Jahr 2025 nach Plänen der Kirchengemeinde Rendsburg zum „Kultur- und Erlebnisraum“.
Gläserne Orgel von Rendsburg seit zehn Jahren geplant
„Natürlich fragen die Leute: Ist sie aus Glas?“, erzählt Pastor Karsten Struck, Vorsitzender der Projektgruppe Orgelneubau, über das neue Instrument. „Das ist sie nicht. Aber sie können sich alles anschauen, sogar durch die Orgel hindurchgehen – sie ist also verhältnismäßig gläsern.“
Vor rund zehn Jahren begannen diese Pläne, als sich abzeichnete, dass eine umfangreiche Reinigung der alten Orgel bevorstand. „Eine alte Orgel ist wie ein altes Auto“, sagt Linhardt. „Wenn man investiert, läuft es noch zwei Jahre bis zum nächsten TÜV – oder man trennt sich.“ Und so geschah es. Im April 2024 bauten Handwerker die Orgel aus dem Jahr 1972 ab, dabei zeigte sich, dass die Mängel erheblich waren. „Es wäre ein Fass ohne Boden gewesen“, sagt Pastor Rainer Karstens, Vorsitzender des Rendsburger Kirchengemeinderats. Heute erklingen Teile der alten Orgel im polnischen Belchatow.

Bereits seit 2019 ist in der St.-Marien-Kirche die Dauerausstellung „Glaubensspuren“ zu sehen. Sie erzählt von der Entstehung des Christentums im Norden Deutschlands. „So kam die Idee, dass wir sie erweitern“, erinnert sich Volker Linhardt. Die ganze Geschichte des Kircheninstruments, die ganze Technik seien einfach spannend.
1,9 Millionen hat nach Angaben der Kirchengemeinde das gesamte Projekt gekostet, davon 1, 2 Millionen der Orgelneubau. EU-Mittel zur Förderung der Entwicklung im ländlichen Raum von etwa 750 000 Euro, 400 000 Euro Spenden sowie 750 000 Euro aus der Kirchengemeinde finanzierten das Projekt „Gläserne Orgel“.
“Viele sagen, dass sei heute Luxus”
„Ich bin erleichtert, weil ein ambitionierter Zeitplan eingehalten worden ist – und die Finanzierung irgendwie so aufgegangen ist“, sagt Rainer Karstens. „Mit so einer EU-Förderung hat man unheimlich viel Bürokratie am Hals.“ Zumal das kirchliche Baurecht und der Denkmalschutz ebenfalls berücksichtigt werden mussten. „Wir haben manchmal Blut und Wasser geschwitzt und Gott sei Dank immer wieder Mut geschöpft“, sagt der Pastor sichtbar erleichtert.
Dabei stößt die Gläserne Orgel durchaus auf Kritik. „Viele sagen, dass sei heute Luxus. Dabei ist es kein Luxus, sondern Teil kirchlicher Verkündigung“, sagt der Pastor. Orgeln könnten Gemeinschaft stiften, verwundete Seelen trösten und wieder Kraft für den Alltag geben.
Gläserne Orgel – ein neuer touristischer Magnet
Wer jetzt die Marienkirche betritt, erblickt unterhalb der Nord-empore drei Hörstationen. Hier geht es beispielsweise um die Orgelkultur in Schleswig-Holstein, historisch und zukünftig, inhaltlich und musikalisch. Von der Orgelempore gelangen Interessierte in den geräumig gestalteten Turm. Auf zwei Etagen werden unter anderem Funktionsweise und Orgelbau – liebevoll illustriert – erklärt. Videos und Mitmachstationen bieten interaktive Zugänge zur Königin der Instrumente Das Konzept geht auf Kurator Jens Martin Neumann aus Kiel zurück. Er hat bereits die „Glaubensspuren“ entwickelt.

Spuren soll auch die Gläserne Orgel hinterlassen. „Wir hoffen, dass sie touristischer Magnet wird“, sagt Karsten Struck. „Wir wollen die Kirche und das Thema Orgelmusik öffnen – von der weit entfernten Empore zu allen, die Interesse haben.“
Der Gottesdienst zur Einweihung der Orgel beginnt am Freitag, 31. Oktober, um 11 Uhr. Das erste Orgelkonzert zur Einweihung findet am Sonntag, 2. November, um 17 Uhr mit Professor Arvid Gast von der Musikhochschule Lübeck statt. Er spielt unter anderem Orgelwerke von Johann Sebastian Bach, Charles Marie Widor und Max Reger. Der Eintritt ist frei.
