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Reiseglück für alle – Die Demokratisierung der Ferien

Von der Sommerfrische zum Pauschalpaket: Reisen hat sich in Europa vom Luxus zur Alltagskultur entwickelt. Das prägt unsere Urlaubsgewohnheiten bis heute.

Es begann mit der Sehnsucht nach Natur, frischer Luft und dem Wunsch, dem Alltag zu entfliehen: Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich der Tourismus vom Privileg weniger Reicher zu einem Phänomen, das auch die Mittelschichten erreichte. In dieser Zeit erlebte Europa das “goldene Zeitalter” des Fremdenverkehrs, wie Hasso Spode, Tourismuswissenschaftler, in seinem Buch “Traum Zeit Reise. Eine Geschichte des Tourismus” beschreibt.

Die Eisenbahn machte entlegene Gebiete zugänglich, Seebäder, Thermalorte und Berghotels boomten. Die Schweiz etwa, lange ein Armenhaus, wurde durch ausländische Gäste reich. Britische Bergsteiger priesen sie als “Spielplatz Europas”, erzählt der Wissenschaftler und stellt fest: Deutsche Mittelschichten folgten begeistert.

Mit der wachsenden Nachfrage stiegen auch die Angebote. Spode beschreibt, wie Bergbahnen die Gipfel erschlossen und Hotels expandierten. Die Sommerfrische, einst ein Rückzugsort der oberen Schichten, sei allmählich ein Begriff für viele, doch nicht für alle geworden.

Nach dem Ersten Weltkrieg geriet der Aufstieg des Tourismus vorübergehend ins Stocken. Doch schon in den 1920er Jahren lebte die Reiselust neu auf, so Spode. In der Weimarer Republik stand demnach das Auto für Mobilität und Fortschritt, und sogar die ersten Fluglinien wagten sich in den Markt. Noch blieb das Fliegen ein Abenteuer für wenige ganz mutige Menschen. Reisebüros organisierten zunehmend Gruppenfahrten; Busreisen für weniger Privilegierte nahmen Fahrt auf.

Besonders wirksam war nach Ansicht des Autors das nationalsozialistische Projekt “Kraft durch Freude”: Es versprach, den Urlaub “für alle” zugänglich zu machen. So konnte das NS-Regime die Freizeit der Bürger steuern, indem es das kollektive Reisen förderte – mit politischen Untertönen. Der Massentourismus stand nun endgültig vor dem Durchbruch, auch wenn der Zweite Weltkrieg die Entwicklung, wenn auch spät, brutal unterbrach, wie Spode feststellt.

Doch auch so merkwürdig es klingt, Spode gibt an, von den Soldaten seien einige eroberte Länder wie Urlaubsziele betrachtet worden. Tatsächlich werden noch in einigen Familien Fotoalben der damaligen Generation verwahrt, deren Bilder auch die Überschrift tragen könnten: “Mein schönstes Ferienerlebnis”. Darauf weist auch die Historikerin Tatjana Tönsmeyer in ihrem Buch über Europa unter der deutschen Besatzung hin.

Nach 1945 sei es das Wirtschaftswunder gewesen, das die neue Reisewelle befeuert habe, stellt der Wissenschaftler fest. Schon in den frühen 1950er Jahren wollte die Bevölkerung die Ruinen hinter sich lassen und “sich endlich wieder satt essen und reisen”, wie Spode den Touristiker Carl Degener zitiert. Italien sei dabei zum Sehnsuchtsziel schlechthin geworden. Für bestimmte Gruppen ist es das übrigens bis heute.

In dieser Zeit wuchs zunächst der Tourismus innerhalb Deutschlands. Spode beschreibt, was Ältere noch aus der eigenen Erinnerung kennen. Mit dem VW Käfer, einem Zelt und Abenteuerlust zog es die Familien an die Nord- und Ostsee oder in die Alpen. Doch bald reichte die Heimat nicht mehr. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg sei auch die Begeisterung für Fernziele gekommen – und natürlich immer wieder Italien.

Ab den 1960er Jahren eroberten Flugreisen den Reisemarkt, wie Spode konstatiert. Der Pauschalurlaub mit All-inclusive-Charme oder auch der Club-Urlaub gewannen an Zuspruch. Billige Flüge, Hotels, die alle gleich aussahen, und die Verheißung brauner Haut als Statussymbol seien gefragt gewesen, so Spode. Die Hautärzte sehen die Folgen noch heute in ihren Praxen.

Die Flugreisen demokratisierten das Reisen, erklärt Spode. Was früher exklusive Sommerfrischen für Reiche waren, sei nun für breite Schichten erschwinglich geworden. Die Welt war plötzlich klein – in wenigen Stunden gelangte man von wo auch immer in Deutschland an den weißen Strand. Zugleich habe jedoch die Kritik am Massentourismus begonnen: Vom “hässlichen Deutschen” war die Rede, der betrunken Wehrmachtslieder grölte, und Bildungsbürger warnten vor dem kulturellen Verfall.

Trotzdem stieg die Reiseintensität weiter, und sie bleibt ungebrochen. Jetzt mit dem Ferienbeginn in verschiedenen Bundesländern stehen die Reisenden wieder glücklich, wenn auch angestrengt, vor den Flugschaltern an – oder mit Pech im Stau auf der Autobahn. Hauptsache Urlaub – die schönste Zeit des Jahres hat begonnen!