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Rechte Zwischenfälle in Hamburger KZ-Gedenkstätten

Bis vor drei Jahren hatte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg überhaupt keine Hausordnung. Sie war einfach nicht nötig. Das ist heute anders. Und 2023 wurde die Hausordnung sogar noch verschärft, weil es mehr Zwischenfälle aus dem rechten Spektrum gibt. „Sticker und Aufkleber mit rechtsextremen Inhalten, Anrufe von Personen, die sich rechtsextrem äußern und Besuche von Menschen mit rechter Gesinnung haben zugenommen“, sagt Oliver von Wrochem, Leiter der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland. Gab es 2022 in der Hamburger Gedenkstätte vier rechte Zwischenfälle, sind es in diesem Jahr schon 16 Fälle und damit dreimal so viele, heißt es in der internen Statistik.

Diesen Trend bestätigen auch andere Gedenkstätten, die an das Unrecht der Nationalsozialisten erinnern. „Vandalismus durch Hakenkreuz-Schmierereien, Beschädigungen von Gedenktafeln oder Leugnung der NS-Verbrechen nehmen bundesweit spürbar zu“, beobachtet der Historiker. Die Täter seien häufig im rechten Spektrum zu verorten. „Sie scheuen sich nicht länger, KZ-Gedenkstätten zu besuchen und hier offen rechtsextremistisches Gedankengut zu äußern“, sagt der 55-Jährige. Auch im Bereich von Social Media gebe es mehr rechtsextreme Kommentare, die umgehend gelöscht würden. Von Wrochem: „Uns erreichen in letzter Zeit gehäuft Mails, die die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als ‘Schuldkult’ verhöhnen.“

Offizielle Daten der Hamburger Polizei über rechte Straftaten liegen für diesen Herbst bisher nicht vor. Im ersten Halbjahr 2023 ging die Zahl noch zurück: Bis zum 14. Juni wurden 149 politisch motivierte rechte Straftaten, darunter acht Gewalttaten, registriert. Im vergangenen Jahr erfasste die Polizei 512 rechte Straftaten, darunter 58 Gewaltdelikte, heißt es in einer Antwort des Senats auf eine große Anfrage der Fraktionen von SPD und Grünen vom 4. Juli 2023. Seit 2008 habe der Hamburger Senat demnach seine Aktivitäten zur Prävention von Rassismus, Antisemitismus und weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erheblich ausgebaut. Unter anderem ist vor knapp einem Jahr ein neues Bürgerportal online gegangen, um Hasskriminalität im Internet besser verfolgen zu können.

Auch NS-Gedenkstätten reagierten bereits auf die zunehmenden Zwischenfälle: Bundesweit hätten sie ihre Hausordnungen verschärft, weiß von Wrochem. Im Juni veröffentlichte die Gedenkstätte KZ-Neuengamme ihre neue Gedenkstättenordnung. Auf dem Gelände seien von Nationalsozialisten zahllose Verbrechen begangen worden, zehntausende Menschen hätten hier gelitten und seien gestorben. Es gehe darum, den Ort zu schützen und die Würde des Ortes durch respektvolles Verhalten zu achten, heißt es darin. Mit der neuen Hausordnung soll es für das Aufsichtspersonal klar und deutlich sein, wann und wie sie einschreiten sollten. Wer sich etwa diskriminierend äußert oder den Holocaust relativiert, könne des Geländes verwiesen werden. Menschen, die verbotene Symbole tragen, dürfen die Gedenkstätte erst gar nicht betreten.

Die Zunahme der Vorfälle erklärt von Wrochem unter anderem mit den jüngsten Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD): Rechte Positionen in der AfD würden Menschen nicht mehr abschrecken, diese Partei zu wählen. Zudem gehöre die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und der deutschen historischen Verantwortung „nicht mehr ungeteilt“ zum Selbstverständnis der Gesellschaft, findet von Wrochem. Auch der Krieg in Gaza als Folge der Terroranschläge der Hamas habe in vielen Bereichen der Gesellschaft eine bereits vorhandene antisemitische Haltung verstärkt. Jede Form von Antisemitismus und Gewalt gegen Juden und Jüdinnen stelle einen fundamentalen Angriff auf die Werte und Normen Deutschlands dar. Von Wrochem: „Antisemitismus gab und gibt es leider in großen Teilen der deutschen Gesellschaft, getragen von Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Ausrichtungen und Religionen.“