Blaue Lichtblitze zucken, rund 400 Menschen tanzen zu dröhnenden Beats. Es scheinen Bilder einer ganz normalen Techno-Party zu sein. Doch ein Detail irritiert: Hinter dem DJ hängt ein Kreuz an der Wand. Tatsächlich fand der Rave in der Osternacht in der Christuskirche in Düsseldorf-Oberbilk statt. Eine reine Unterhaltungsveranstaltung war die „Exult!“-Osternachtsfeier allerdings nicht: Vor der Party ging es im Gottesdienst durchaus um ernste Themen wie Tod und Trauer. Dennoch war die Kirche bis auf den letzten Platz mit jungen Leuten besetzt.
Von einem solchen Zulauf können die meisten Kirchengemeinden nur träumen. In der Evangelischen Kirche im Rheinland etwa ging die Zahl der Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen binnen 13 Jahren um gut ein Drittel auf rund 51.300 im Jahr 2023 zurück. Im gleichen Zeitraum halbierte sich die Zahl der Gottesdienstbesucher am „fiktiven Normalsonntag“ auf gut 41.000. Die Mitgliederzahl schrumpfte langsamer, um knapp ein Fünftel. Die Kirchenmitglieder besuchen also insgesamt seltener den Gottesdienst.
Als Reaktion auf diese Entfremdung vor allem junger Menschen und startete die rheinische Landeskirche vor fünf Jahren das Projekt „Erprobungsräume“. Es unterstützt neue Formen kirchlicher Veranstaltungen und Gottesdienste. Ziel ist, aus Erfolgen wie der „Exult!“-Osternacht in Düsseldorf zu lernen. Die Veranstaltung umfasste einen Gottesdienst mit meditativen Elementen und Körperübungen, eine Performance mit professionellen Darstellern und abschließend eine Rave-Party. „Es kamen auch Menschen, die noch nie einen Gottesdienst besucht hatten“, sagt Pfarrerin Katharina Mutzbauer. „Das Projekt hat uns Mut gemacht.“
Eine Wiederholung der mit hohem Aufwand geplanten Veranstaltung ist dennoch nicht vorgesehen. Das erfolgreiche Experiment habe aber eine Orientierung und Ideen für die Zukunft gegeben, sagt die Theologin. Es brauche einen ganzheitlichen Ansatz. „Zum Beispiel: Statt darüber zu sprechen, wie sich Hoffnung anfühlt, kann man Hoffnung fühlbar machen, etwa durch Meditation oder Atemübungen“, erklärt Mutzbauer, die auch ausgebildete Yogalehrerin ist.
Einen neuen Weg geht auch der Bonner Pfarrer Malte große Deters. „Wir haben festgestellt, dass es bei jungen Menschen ein großes Bedürfnis gibt, mitzugestalten“, stellt er fest. 2021 entwickelte große Deters gemeinsam mit einem Team den „freidacht“-Gottesdienst, der reihum in unterschiedlichen Kirchen gefeiert wird und sich an junge Erwachsene richtet.
Darin gibt es statt einer klassischen Predigt partizipative Angebote: etwa Gesprächsstationen, die Möglichkeit, selbst Gebete zu schreiben oder sich zu zweit auf einem kurzen Spaziergang über bestimmte Fragen auszutauschen. „Wir bekommen ganz viel positives Feedback zu diesem Angebot“, sagt große Deters. Viele junge Menschen fühlten sich in traditionellen Sonntagsgottesdiensten als Exoten. „Wenn sie zu uns kommen, wissen sie: Da sind andere wie ich.“
Dieses Gefühl trifft in noch stärkerem Maß auf die rund 100 bis 300 Menschen zu, die regelmäßig die Gottesdienste der Queeren Kirche Köln besuchen. „Queere Menschen finden hier einen sicheren Raum“, sagt Pfarrer Tim Lahr, der das Projekt Anfang 2023 mit seinem Team startete. Wenn eine Trans-Person in eine traditionelle Gemeinde komme, müsse sie sich oft erst einmal erklären. In der Queeren Kirche falle diese Hürde weg.
Das Besondere an den queeren Gottesdiensten sei nicht der Ablauf, sondern dass Bibeltexte oft in diesem Rahmen einen anderen Kontext bekämen, erklärt Lahr. Einen Unterschied mache auch die Musik, die durch den Queeren Kirchenchor mitgestaltet werde. In traditionellen Kirchenliedern, die häufig auf eine patriarchalische Sprache zurückgriffen, könnten sich queere Menschen oft nicht wiederfinden. Das „Vater unser“ etwa werde im Gottesdienst stets in englischer Fassung auf die Melodie des Abba-Hits „Mamma mia“ gesungen – wobei die Anrede „Vater“ auch durch „Gott“ ersetzt werde.
Der Erfolg der Queeren Gottesdienste rühre daher, dass sie authentisch seien und für die Zielgruppe relevante Themen ansprächen, vermutet der Pfarrer. Dieses Rezept gelte aber auch für jeden anderen guten Gottesdienst: „Es gehört dazu, dass man die Menschen vor Ort gut kennt und weiß, was sie brauchen und wonach sie dürsten.“
Die Notwendigkeit, sich zu öffnen und mehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen anzusprechen, sei bei der Kirchenleitung angekommen, stellt große Deters fest. „Aber das setzt sich oft vor Ort in den Gemeinden noch nicht durch.“ Es gebe Konflikte um personelle Ressourcen. Häufig mangele es an der Bereitschaft, auf den einen oder anderen traditionellen Gottesdienst zu verzichten, um neue Formate zu ermöglichen.