Regenbogenflaggen wehen, die Pride-Saison hat begonnen. Auch gläubige queere Menschen suchen ein spirituelles Zuhause. Ein Priester hört hin – nicht nur zum Christopher Street Day.
Jazz Cortes wohnt neben einer Kirche. Einmal wollten Gottesdienstbesucher sie anzünden – weil sie mit ihrem Lebensentwurf nicht klarkamen, wie Jazz sagt. Jazz ist schwul und arbeitet nebenberuflich als Dragqueen. Dragqueens sind Männer, die sich mit Kleidung und Schminke als Frau präsentieren, oft bewusst übertrieben und theatralisch dargestellt.
Sie sind Teil der queeren Gemeinschaft, die in den kommenden Monaten auf weltweiten Paraden für die Akzeptanz aller Sexualitäten eintreten. In Berlin wird der Christopher Street Day zum Beispiel am 27. Juli gefeiert, “Cologne Pride” schon vom 21. Juni bis 6. Juli. Mit dem englischen Wort queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt.
Jazz fühlt sich in der Rolle als Drag wohler als in der alltäglichen Welt: “Ich liebe es, einen Raum zu haben, und alle drehen sich zu einem um.” Über die Jahre hinweg machte sie sich mit häufiger Präsenz auf verschiedenen Veranstaltungen einen Namen und moderiert nun auch schon mal dort. So wie etwa kürzlich bei den baden-württembergischen Poledance-Meisterschaften.
Szenenwechsel: Einige Kilometer entfernt hat Ansgar Wucherpfennig seinen Arbeitsplatz. Für den katholischen Ordensmann und Professor an der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt spielen die Belange der queeren Gemeinschaft in seiner Arbeit eine zentrale Rolle. Er setzt sich für die Rechte von Homosexuellen und Frauen in der Kirche ein. 2018 war er für eine dritte zweijährige Amtszeit als Rektor der Hochschule wiedergewählt worden. Der Vatikan erteilte ihm aber zunächst nicht die Zustimmung in Form der Unbedenklichkeitserklärung (“Nihil obstat”) – was auf massive Kritik stieß, bevor er doch noch das Amt antreten konnte.
Er habe “von der Kirche einen großen Rückhalt erfahren”, sagt Wucherpfennig rückblickend. Im September 2020 endete dann seine insgesamt sechsjährige Zeit als Rektor. Die Debatte habe gezeigt, “dass Konflikte hilfreich sind”. Und: Allgemein erlebe er bei den Kirchenmitgliedern – von konservativ bis progressiv – eine große Toleranz gegenüber Queerness.
Manchmal ist diese Welt tatsächlich voller Glamour und Glitzer: An diesem Abend filmt Jazz bei einem “Drag Slam” in Frankfurt, um Clips in den Sozialen Medien hochzuladen – etwa, wie die befreundete Dragqueen Giselle vor rund hundert Zuschauern auftritt. Giselle Hipps moderiert die Show in einem leuchtend bunten, hautengen Anzug. Ihre Perücke ist so voll wie zwei Haarprachten zusammen.
Giselle heißt eigentlich Hendrik Gies, aber Jazz würde sie nie so nennen. Zu sehr identifizieren sich beide mit ihren Drag-Rollen. Giselle arbeitet seit elf Jahren als Drag und moderiert die Show jeden Monat. Ihre Drag-Kollegen bezeichnet sie als “chosen family” – ihre selbst gewählte Familie neben ihrer biologischen, von der sie ebenfalls Unterstützung erfährt. Teil davon ist auch Phiphi Cumfort, die sie an diesem Abend auf die Bühne ruft.
Phiphi heißt bürgerlich Philipp Turinske und ist außerhalb der Drag-Welt ein schwuler Mann. Aber: “Phiphi steht auf hetero Männer.” Sie schätzt, dass nur einer von hundert Drags hetero ist. Phiphi hat zweieinhalb Stunden für ihr Make-up gebraucht. Ihre Arbeit als Drag bezeichnet sie als Therapie: “Ich drücke mich aus, wie ich authentisch bin.” Das heißt: feminin, kreativ, weniger Schein.
Phiphi Cumfort ist eine von sechs Kandidatinnen, die mit ihren Auftritten gegeneinander antreten. Bevor die Moderatorin sie aufruft, zupfen einige an ihrer Kleidung. Doch in dem Moment, in dem sie die Bühne betreten, strahlen sie – je nach Auftritt fröhlich, majestätisch oder auch melancholisch. Phiphi singt bei der eigenen Tanzeinlage nicht laut mit, doch die Vorstellung gleicht dem Auftritt einer Opernsängerin: Sie reißt die Augen auf, und ihre Präsenz nimmt den gesamten Raum der Bühne ein.
Für Jesuit Wucherpfennig begann die Beschäftigung mit queeren Bedürfnissen aufgrund persönlicher Begegnungen: etwa mit einem schwulen Freund, der sich zwischen Liebe zu den kirchlichen Traditionen und dem Gefühl, unwillkommen zu sein, zerrissen fühlte. Oder mit der Leiterin eines Drogenprojekts, deren Leichtigkeit, ihre Queerness offen zu leben, ihn inspirierte.
Seither setzt er sich unter anderem in der Seelsorge für ihre Belange ein. Gesprächsthemen sind meist Familiäres oder Unsicherheiten mit der eigenen Identität, berichtet der Kirchenmann. Dieses Jahr ist erstmals geplant, in der Sankt Leonhard Kirche ständig Seelsorgegespräche anzubieten, wenn dort der CSD gefeiert wird (17. bis 20. Juli), mit Musik- und Meditationsangeboten. Stände rund um die Parade haben kirchliche Bewegungen schon seit Jahren.