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Psychologe: Schlechte Nachrichten sind wie Zucker und Fett

Mehr Misstrauen, weniger Nachsicht: So erleben viele Menschen die gesellschaftliche Stimmung. Ein Psychologe wünscht sich mehr Balance – und hat konkrete Tipps, wie sie sich erreichen lässt.

Ein gutes Buch, eine Reportage oder Dokumentation statt “immer nur Meinungen und Meldungen”: Dazu rät der Münchner Psychotherapeut Sina Haghiri. “Negative Nachrichten sind wie Fett und Zucker”, sagte er im Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwoch). Niemand sollte “komplett darauf verzichten, aber sie sind weder gesund noch nachhaltig”.

Eine Balance lasse sich finden, wenn man sorgfältig aufbereitete Informationen konsumiere. Hilfreich erlebten es zudem viele Menschen, “in ihrer hyperlokalen Realität mit eigenen Augen hinzusehen und es bewusst zu erleben”. Ein Beispiel dafür sei, bewusst zu zählen, wie viele Menschen sich etwa in der U-Bahn rücksichtslos verhielten und wie viele hilfsbereit.

Wer dies tue, könne falsche Annahmen erkennen und “eine Haltung der Empathie kultivieren. Dafür braucht es vor allem eins: Nachsicht”, so der Experte. Nachsicht könne nicht nur dabei helfen, andere Menschen besser zu verstehen, sondern auch mitfühlender mit sich selbst umzugehen. “Denn das Böse in anderen zu erwarten bringt das Schlechteste in uns hervor.” Evolutionär bedingt speichere der Mensch vor allem Gefahrenquellen ab, was heute etwa dazu führe, dass eine Enttäuschung stärker wiege als fünf Situationen, in denen sich dieselbe Person freundlich verhalten habe.

Im 21. Jahrhundert sei es schwierig, “eine Institution oder auch nur Person zu identifizieren, die für Nachsicht steht”, fügte Haghiri hinzu. Am ehesten könne aus seiner Sicht die Kunst diese Rolle ausfüllen. So zeigten Studien, dass beispielsweise das Lesen von Romanen eine Art “Empathie-Training” sei: “Es schult die Fähigkeit, sich in eine oder mehrere andere Personen mit unterschiedlichen, ja sich sogar widersprechenden Standpunkten hineinzuversetzen.”

Die Fähigkeit zur Empathie werde aus seiner Sicht stärker. “Das sieht man daran, wie omnipräsent psychologische Inhalte mittlerweile sind.” Die Bereitschaft, dies tatsächlich anzuwenden, werde jedoch geringer, mahnte der Psychotherapeut: “Wir werden also nicht weniger empathisch, aber weniger nachsichtig.” Nachsicht bedeute, “ein mildes Urteil über die Intention des Gegenübers und auch die eigene zu treffen. Davon auszugehen, dass die Person einen Fehler gemacht hat aus Unwissenheit oder Überforderung, aber nicht aus böser Absicht heraus.” – Haghiris Buch “Mit Nachsicht” ist kürzlich erschienen.