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Psychiater: So lässt sich das Alleinsein trainieren

Wem das Alleinsein schwerfällt, der kann nach Worten eines Psychiaters mit kleinen Übungen anfangen. “Den meisten Menschen fällt es viel leichter, allein zu sein, wenn sie erst mal mit etwas allein sind, zum Beispiel mit einem Buch oder Sportgerät oder mit einer Aufgabe”, sagte Rainer Gross der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Januar-Ausgabe). Geeignet seien vor allem Dinge, die man gern tue. “Das berühmte Allein-aufs-Meer-Schauen ist dann schon die höhere Kunst.”

So könne man sich allmählich steigern, zunächst etwa zehn Minuten oder eine halbe Stunde “bewusstes Alleinsein” ausprobieren, erklärte Gross. Im Idealfall entwickle sich daraus auch bei einsamen Menschen eine “Positivspirale: Je weniger ich verzweifelt auf andere angewiesen bin, desto weniger werde ich an anderen kleben und sie erdrücken.” Wichtig sei, den Wunsch nach Nähe zu verteilen und nicht zu hoffen, “dass ein Mensch alle Bedürfnisse erfüllt”. Andere schafften sich ein Haustier an: Das “funktioniert und ist wesentlich besser, als einsam zu verzweifeln”.

Vielfach würden Menschen, die lange alleine waren, “mit einer gewissen Skepsis” betrachtet, fügte der Experte hinzu. “Das ist natürlich ein Stigma, das dann oft zur Selbststigmatisierung führt. Es gibt einen ganz ungeheuren gesellschaftlichen Druck, glücklich zu sein. Und glücklich ist man scheinbar nur dann, wenn man allzeit prickelnde Beziehungen hat, Frieden mit den Eltern geschlossen hat, ein pulsierendes soziales Netz”.

Schwierigkeiten mit dem Alleinsein entstünden oft in der Kindheit, erklärte Gross. Dabei gehe es immer um subjektive Eindrücke: “Die allermeisten Eltern würden wahrscheinlich sagen: ‘Wovon ist die Rede? Es war doch alles in Ordnung.'” Es sei ein Balanceakt für Eltern, einerseits “Nähe, Sicherheit und Zuwendung zu vermitteln und andererseits das Kind vorsichtig an die Hand zu nehmen und in die Welt hinauszubegleiten, bis man ihm irgendwann nur noch aus der Ferne hinterherschaut”.