Fünf Jahre nach Erscheinen der kirchlichen Studie zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt (“MHG-Studie”) hat Co-Autor Harald Dreßing eine negative Aufarbeitungsbilanz gezogen. Die katholische Kirche habe seit 2018 eine große Möglichkeit vertan, “eine wirklich transparente, authentische Aufarbeitung zu beginnen”, sagte der Mannheimer Psychiater am Montag dem Kölner Domradio.
Wichtig wäre ein weiteres, bundesweit einheitliches Vorgehen gewesen – transparent und völlig unabhängig von kirchlicher Einflussnahme. Dazu sei es aber nie gekommen, sagte Dreßing. Stattdessen hätten die 27 verschiedenen Bistümer “nach eigenem Gusto” jeder für sich “irgendetwas” gemacht. Viele der so entstandenen Studien seien wenig sinnvoll gewesen.
Die jüngst bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den Essener Kardinal Franz Hengsbach haben Dreßing nach eigenen Angaben nicht überrascht: Denn die MHG-Studie habe belegt, dass zehn Prozent der Beschuldigungen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt gegen Priester in höheren Kirchenämtern gerichtet waren, sagte Dreßing. Er warf der katholischen Kirche zudem vor, bei der Erstellung der Fragebögen für die MHG-Studie 2018 verhindert zu haben, konkret nach Beschuldigungen gegen Bischöfe zu fragen. Stattdessen sei dann nur allgemein von einem “höheren Kirchenamt” die Rede gewesen.
Unterdessen forderte der Staatsrechtler Stephan Rixen im “Kölner Stadt-Anzeiger” mehr staatliches Engagement bei der Aufarbeitung. Nötig sei ein Rechtsrahmen mit verbindlichen Standards für Aufarbeitung in allen Institutionen, sagte Rixen. Wenn man beispielsweise den Kirchen oder den Sportverbänden die Aufarbeitung allein überlasse, sei die Gefahr des Selbstschutzes enorm groß: “Es darf am Ende nicht vom guten Willen einzelner Funktionäre abhängen, ob Aufarbeitung gelingt oder nicht.”