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Premiere von “Romeo und Julia” im Oberammergauer Passionstheater

2024 fiel das Sommertheater in Oberammergau aus, weil es für “Der Rebell” zu wenig Nachfrage gab. Mit Shakespeare aber kann man nichts falsch machen – vor allem wenn im Mittelpunkt ein berühmtes Liebespaar steht.

Mit Konflikten kennen sich die Oberammergauer aus. Viel wurde in dem Ort in den oberbayerischen Bergen schon über die Passion gestritten. Aber spätestens wenn sich im zehnjährigen Rhythmus der Vorhang für das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu hebt, ist alles wieder vergessen. Für diesen Sommer hatte der schon für 2030 wiedergewählte Passionspielleiter Christian Stückl sich entschieden, im Passionstheater William Shakespeares “Romeo und Julia” herauszubringen – ein Stück über zwei zerstrittene Familien. Für ihn eine Gelegenheit, vorab seinen Castingblick im Ort nach Talenten schweifen zu lassen.

Bei seiner Begrüßung zur Premiere am Freitagabend konnte der Regisseur dem Publikum auch verkünden, dass viele Newcomer zu erleben seien. Allen voran Yannick Schaap als Romeo, der tagsüber noch seinem Beruf als Dachdecker nachgegangen sei. Keine schlechte Voraussetzung für diese Inszenierung. Denn an die beiden auf der Bühne nebeneinander gestellten Häuser der zwei zerstrittenen Veroneser Familien Capulet und Montague musste er des Öfteren eine Leiter lehnen. Diese nutzte er nicht, um den berühmten Balkon zu erklimmen, sondern um über das Vordach zum Gemach seiner Julia zu gelangen.

In deren Rolle war Eva Norz geschlüpft, ebenfalls ein neues Gesicht. Gewandet im roten Kleid mit weißen Streifen spielte sie eine selbstbewusste junge Frau, die es ablehnt, mit dem gutsituierten Grafen Paris verheiratet zu werden. Als die Mutter ihr erklärt, sie habe ihre Tochter sogar noch vor dem 16. Lebensjahr bekommen, meint die nur: “Schön blöd.” Stückl hat den von August Wilhelm Schlegel ins Deutsche übertragenen Text kräftig bearbeitet. Dabei legte er vor allem den Burschen der verfeindete Familien, wenn diese unter sich sind, Machosprüche und Zoten in den Mund. Das kann man mal machen, aber sollte es nicht zu häufig tun – gerade im Zeitalter von “MeToo”.

Ein Augenschmaus sind Kostüme und Bühnenbild von Stefan Hageneier. Während Familie Capulet ein gelbes Haus besitzt, lebt Familie Montague in einem grünen. Abgestimmt darauf ist die Kleidung. Julias Eltern setzen auf Streifen und gewagte Hüte wie beim Pferderennen in Ascot. Romeos Vater (Frederik Mayet) trägt einen Anzug passend zum Anstrich der Hausfassade. Der Sohn und seine Gang kommen in ledernen Biker-Klamotten mit Fransen und Fuchsschwanz daher. Wie einst Marlon Brando düst Mercutio mit einem alten Motorrad auf die Bühne. Rochus Rückel, der “Jesus” von 2022, verkörpert ihn als großspurigen Halbstarken, der vor keinem Nahkampf zurückschreckt.

Romeo und Julia verlieben sich bekanntlich ineinander und werden am Ende beide tot sein. Aber erst einmal darf niemand von ihrer Beziehung wissen, weil ihre Familien verfeindet sind. In ihrer Not wenden sie sich an Pfarrer Lorenzo, der im Programm auch als “Streetworker” tituliert wird. Benedikt Fischer, der Erfahrung als “Herodes” mitbringt, kommt “Laudato si”-singend in einem oliven Outdoor-Outfit auf dem Fahrrad gefahren. Er nimmt sich der beiden an, traut sie heimlich und weiß auch eine Lösung, als Julias Vater (Carsten Lück, vormals “Pilatus”) in einem harten Ton von ihr verlangt, den Paris zu heiraten.

Julius Iven gibt diesen adeligen Schnösel im feinen Tuch, der mit Komplimenten wie “In dieser Welt bin ich dein Eis am Stiel, ich schmelze dahin” glaubt, sein Gegenüber erobern zu können. Selbst der Pfarrer weiß da nur noch mit “O Gott” zu reagieren. Sein Plan, den beiden Liebenden mit einem Zaubertrank zu helfen, der Julia scheintot sein lässt, geht nicht auf. Weil Romeo nicht rechtzeitig eingeweiht werden kann und sich beim Anblick der im Sarg liegenden Julia umbringt. Sie tut das Gleiche, als sie ihn nach ihrem Aufwachen leblos liegen sieht.

Für diese Szene werden die miteinander verbunden Häuser wie eine Dielentür nach links und rechts geschoben. Das Sterben beider Protagonisten geschieht in der Mitte, während unter Nebelschwaden im Hintergrund der Blick frei wird auf Chor und das Orchester. Markus Zwink hat eigens für die Aufführung eine Musik komponiert, die sich einfügt, als hätte sie schon immer dazugehört. Geboten wird in Oberammergau Sommertheater mit Dramatik und Humor – vor allem aber eine tolle Gemeinschaftsleistung.