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Präsidentenwahl in Tunesien: rechtlicher Streit, absehbares Ergebnis

Auf den ersten Blick scheint alles klar: Aus den Wahlen in Tunesien am Sonntag wird der amtierende Präsident Kais Saied aller Voraussicht nach als klarer Sieger hervorgehen. Zwar hat er zwei Gegenkandidaten, doch denen werden kaum Chancen eingeräumt. Und einer der beiden kam im Rahmen seiner Bewerbung bereits in juristische Bedrängnis – nicht die einzige rechtliche Auseinandersetzung, die die Wahl überschattet und Zweifel an der Legitimität der Abstimmung hervorruft.

Mehrere von der Wahlbehörde ISIE abgelehnte Kandidierende reichten beim dafür zuständigen Verwaltungsgericht Widerspruch gegen die Entscheidung ein. In zweiter Instanz gab das Gericht dreien von ihnen recht. Die ISIE, deren Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden, weigerte sich jedoch, die drei Kandidaten ins Rennen aufzunehmen. Als klaren Rechtsbruch hat dies unter anderem der Tunesische Verein für Verfassungsrecht eingestuft, der sich vor allem aus ehemaligen Kollegen des früheren Juradozenten Saied zusammensetzt.

In der vergangenen Woche verabschiedete das Parlament dann mit großer Mehrheit ein Gesetz, das dem als vergleichsweise unabhängig geltenden Verwaltungsgericht die Zuständigkeit entzog, über Einsprüche gegen die Wahlbehörde zu entscheiden. Die Entscheidung sei notwendig geworden, um zu verhindern, dass Tunesien ins Chaos stürze, erklärte die Abgeordnete Fatma Mseddi bei der Plenarsitzung. Zuvor hatte es Diskussionen darüber gegeben, ob das Verwaltungsgericht etwa die Wahl für ungültig erklären würde, da die zusätzlichen Kandidaten nicht aufgestellt wurden.

Amtsinhaber Kais Saied war im Oktober 2019 im zweiten Wahlgang mit 73 Prozent der Stimmen demokratisch gewählt worden. Am 25. Juli 2021 rief er in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden seitdem zunehmend unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, Dutzende Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.

Gegen Saied treten nun an: der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui, Vorsitzender der Partei Echaab, und der liberale Ayachi Zammel der relativ unbekannten Bewegung Azimoun, beides ehemalige Parlamentsabgeordnete. Der Geschäftsmann Zammel war schon vor Beginn des Wahlkampfs in Untersuchungshaft genommen worden und wurde inzwischen in verschiedenen Verfahren zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Unter anderem wurden ihm Unrechtmäßigkeiten bei der Vorlage von Unterstützerunterschriften vorgeworfen. Von der Kandidatenliste wurde er allerdings nicht gestrichen.

Abgesehen von den erbitterten Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Wahlen ist vom Wahlkampf in Tunesien wenig zu spüren. Nur vereinzelt haben die Kandidaten Plakate aufhängen lassen. Auch ein TV-Duell wie bei der vorherigen Wahl vor fünf Jahren gab es nicht, genauso wenig wie große Veranstaltungen. Das Budget für den Wahlkampf wurde dieses Jahr von der ISIE auf 150.000 Dinar (rund 44.000 Euro) begrenzt.

Anders als in früheren Abstimmungen werden auch keine bedeutenden ausländischen Beobachtermissionen die Wahlen überwachen. Die Akkreditierungen mehrerer tunesischer Beobachter-Vereine wurden abgelehnt. Die Wahlbehörde warf den tunesischen NGOs mangelnde Unabhängigkeit vor. Sie hielt ihnen vor, suspekte Zahlungen aus dem Ausland erhalten zu haben, um sich in innertunesische Angelegenheiten einzumischen und die Agenda Dritter zu vertreten.

Vor den Wahlen dürfen in Tunesien keine Umfrageergebnisse veröffentlicht werden. Während der Sieg Saieds kaum infrage gestellt wird, richtet sich der Blick in erster Linie auf die Wahlbeteiligung, um den Rückhalt des Staatsoberhaupts einschätzen zu können. Hatten sich 2019 noch mehr als 56 Prozent der Wahlbeteiligten an der Abstimmung beteiligt, waren es bei den Wahlen zur ersten und zweiten Parlamentskammer 2022 und 2023 nur jeweils rund 11 Prozent.