Gewaltvideos, Mobbing oder pornografische Fotos: Annika Heuschneider beschäftigt sich täglich mit den Risiken, denen Kinder ausgesetzt sind, sobald sie ein Smartphone frei nutzen können. „Unbegleitete Nutzung ist die Gefahr“, sagt die Jugendkoordinatorin der Polizei Waldeck-Frankenberg. Viele Kinder stoßen nach ihrer Erfahrung schon früh auf nicht jugendfreie Inhalte oder Gewaltvideos oder werden selbst Opfer sexueller Übergriffe im digitalen Raum. Eltern sieht Heuschneider in der Pflicht, ihre Kinder über Gefahren im Netz aufzuklären.
Die Hauptkommissarin ist Multiplikatorin für das Präventionsprogramm „Digital Native“, eine Initiative des Polizeipräsidiums Osthessen in Kooperation mit dem Landkreis Fulda und dem Staatlichen Schulamt. Jede Woche besucht sie Schulen im Landkreis Waldeck-Frankenberg, meist fünfte Klassen, um mit ihnen über Chatverhalten, Fotos, extremistische Inhalte und Mobbing zu sprechen. Zwei Schulstunden nimmt sie sich dafür Zeit.
„Der Bedarf an Schulen zum Thema Medienschutz ist sehr groß“, sagt sie. Die Fünftklässler seien meist mit großem Interesse dabei, der Wissensstand sei jedoch sehr unterschiedlich.
Gegenüber Eltern wird Heuschneider deutlich: Sie müssten medienkompetent sein, klare Regeln aufstellen und technische Möglichkeiten ausschöpfen, um Geräte und Apps kindersicher zu machen. Bei Elternabenden zeigt sie, wie Täter im Internet vorgehen. Beim sogenannten Cyber-Grooming versuchen Erwachsene Kinder zu manipulieren, indem sie zunächst Vertrauen aufbauen, um die Kinder anschließend zu motivieren, etwa Nacktfotos zu schicken. Immer wieder versenden auch Erwachsene sexuelle Bilder an Minderjährige, was ein strafbarer sexueller Missbrauch sei, erklärt die Polizistin. Zudem warnt sie vor Cyber-Mobbing und dem Konsum nicht altersgerechter Inhalte wie Gewaltvideos. Solche Einflüsse gefährdeten vor allem die seelische Gesundheit der jungen Menschen.
Einen Eindruck vom Ausmaß der Gefahr liefert die Kriminalstatistik: Die Zahl der Fälle von Kinderpornografie im Netz ist in Hessen von 539 im Jahr 2018 auf 4.371 im Jahr 2024 gestiegen. Moderne Technik erleichtere zwar die Aufklärung, weil Inhalte auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder WhatsApp automatisch geprüft und bei Treffern an Behörden gemeldet würden. Dennoch seien die Zahlen nur bedingt vergleichbar, erklärt Heuschneider. Teils würden Fälle nach Opfern, teils nach Tätern erfasst und Delikte verschiedenen Kategorien zugeordnet. Zudem sei die Identifikation von Tätern im digitalen Raum oft schwierig.
Die Themen Gefahren im Internet und Mobbing beträfen alle Kinder, sagt die Jugendkoordinatorin, unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in der Stadt leben. Heuschneider wirbt deshalb für mehr Aufklärung und verweist auf engagierte Schulen, die AGs, Workshops und Projektwochen anbieten. Peer-to-Peer-Modelle, bei denen ältere Schüler jüngere im Umgang mit digitalen Geräten begleiten, seien besonders hilfreich.
Das Land Hessen arbeitet aktuell an Strukturen. Das Schulfach „Digitale Welt“ wird seit 2022/23 an einigen weiterführenden Schulen in den Jahrgangsstufen 5 und 6 erprobt. In einer Handreichung ist festgehalten, dass Schülerinnen und Schüler dabei auch über Risiken wie Cyberkriminalität aufgeklärt werden sollen. Lehrkräfte aus verschiedenen Fachrichtungen können sich dafür fortbilden lassen und unterrichten. Das Hessische Kultusministerium bereitet nach Auskunft einer Sprecherin derzeit ein Modell vor, um das Schulfach im Laufe dieser Legislaturperiode flächendeckend einzuführen.
Nach Einschätzung von Annika Heuschneider wäre ein wirksamer Schutz vor Gefahren im Netz eine strengere Zugangsbeschränkung für Social-Media-Plattformen. In Deutschland wird zwar über ein Mindestalter diskutiert, doch dafür bräuchte es ein Gesetz, das Verstöße auch sanktioniert. Die Bundesregierung hat eine Kommission eingesetzt, die bis Herbst 2026 Vorschläge zum besseren Schutz Minderjähriger erarbeiten soll.