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“Paradies” im Weltkulturerbe: wo die Natur Terrain zurückerobert

Überall haben sich Farne und Mose ausgebreitet. Birken in den Bauwerken festgewurzelt. Im Frühjahr und Sommer blühen auf den Wiesen dazwischen bunte Blumen. Bienenkästen wurden aufgestellt. In den Zweigen zwitschern Vögel. Wildschweine und Füchse sollen auch schon gesichtet worden sein. Bis zur Stilllegung der Völklinger Hütte vor fast 40 Jahren regierten in der Kokerei Hitze, Staub und Feuer. Heute haben sich Pflanzen und Tiere längst das Terrain zurückerobert. Das „Paradies“ – ein Ort der Ruhe – lädt die Besucher des Weltkulturerbes zum Verweilen, Entdecken und Entspannen ein.

Insgesamt hat der „Garten“ eine Fläche von 33.000 Quadratmetern. Er wurde nach ersten Plänen von Landschaftsarchitektin Gräfin Christina Bernadotte entwickelt, die von der Blumeninsel Mainau im Bodensee stammt. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dieses Areal der Flora und Fauna zu überlassen“, sagt der Generaldirektor des Weltkulturerbes, Ralf Beil. Besonders wird das aktuell an einer Koksbatterie im hinteren Bereich der ehemaligen Kokerei sichtbar. Das hochaufragende Gebäude ist einsturzgefährdet. Etwa 100 Meter Besucherweg wurden daher umgeleitet, der neue Pfad führt jetzt weitflächig durch eine grüne Wildnis um das Bauwerk herum.

Gleich dahinter findet sich ein überdimensionaler King Kong, das bei Besuchern wohl beliebteste Foto-Motiv des „Paradieses“. Gern lassen sich Besucher unter den Beinen des Riesen-Affen ablichten. Die Größe der Figur, die der Künstler Ottmar Hörl für die Urban Art Biennale 2019 geschaffen hat, kommt so voll zur Geltung.

Dann geht es hinunter auf den 2022 angelegten Leopardenpfad, vorbei an dem Graffiti „Panthère dans la réserve du poisson noir“. Das Kunstwerk schuf der Pariser Künstler „Mosko“ für die Urban Art Biennale 2015. Eine der weltweit größten Ausstellungen dieser aus Street Art und Graffiti entstandenen Kunst findet seit 2011 in dem Völklinger Weltkulturerbe statt. Das Bild des Raubtiers zeigt deutlich die Vergänglichkeit allen Irdischen, auf den auch die Straßenkunst angelegt ist: Das Leoparden-Graffiti an der Mauer des ehemaligen Teerbeckens, in dem einst schwarze Fische gesichtet wurden, ist schon reichlich abgeblättert.

Insgesamt finden sich im Paradies viele andere Kunstwerke der Urban Art Biennalen. Zur aktuellen siebten Biennale haben dort rund ein Dutzend Künstler ihre Werke vor Ort geschaffen. Gleich am Eingang hat der französische Künstler Sébastian Preschoux weiße und rote Nylon-Fäden mit einer Gesamtlänge von 2.800 Metern gespannt – in Verlängerung zu den Schienen der Hängebahn, mit der einst der Koks auf die Hochöfen transportiert wurde. Mit seinem Werk „Guzra“ will er die Verbindung zwischen dem naturbelassenen und dem technischen Teil des Weltkulturerbes Völklinger Hütte verdeutlichen.

Am Teerbecken steht ein fantastisches Tierwesen aus unzähligen Ästen aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet, aus Belgien oder vom Hütten-Gelände. Bei der Kreation seines „Gesamtkunstwerk Regnera“ ließ sich der Franzose Benjamin Duquenne von der Umgebung inspirieren. Der Standort, an dem er sein Kunstwerk aufgebaut habe, sei Ausdruck für den neuen Atem der Hütte, der der Biodiversität ihren Platz einräume, sagt Duquenne.

Im Paradies laden zahlreiche Bänke zum Verweilen ein. Für den, der noch mehr Ruhe sucht, hat die niederländische Urban-Art-Gruppe „High On Type“ zur derzeitigen Biennale „The Shrine of Oblivion“, einen Schrein des Vergessens, aufgestellt. Das begehbare Kunstwerk aus Holz und mit Farben und Kalligrafien ausgeschmückt, liegt – bewusst etwas versteckt – in einem ehemaligen Nebenraum der Werksgebäude. Es soll einen Rückzugsort zum Meditieren nach einem Rundgang durch das von der Industrie-Architektur geprägte Hütten-Areal bieten. Das Paradies sei ein poetischer Ort, an dem sich Schönheit und Vergänglichkeit träfen, sagt Ivo Brouwer, ein Mitglied der Künstlergruppe: „Wie die Natur ihr eigenes Ding macht, ist schön und poetisch, es lässt dich über die Vergänglichkeit und die Zeithaftigkeit der menschlichen Existenz nachdenken.“