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Palästinensische Bauern leiden unter Siedlergewalt und Besatzung

Immer häufiger und immer brutaler greifen jüdische Siedler palästinensische Olivenbauern und ihre Helfer an. Armee und Polizei schauen im besten Fall weg. Oder nehmen die Helfer fest. Die Olivenernte wird zum Kleinkrieg.

Baschar Idh drängt zur Eile. Kaum liegt die Mehrheit der dunklen Oliven auf den Planen, die auf dem trockenen Ackerboden ausgelegt sind, treibt er zum nächsten Baum. Keine Zeit für Feinheiten wie die letzten Früchte in den Baumspitzen, deren Ernte größeren Aufwand bedürfte.

Der Palästinenser weiß, dass sie irgendwann kommen werden. Sie, die jüdischen Siedler von den Hügeln über Burin. Und sie, die Soldaten der israelischen Armee. Nicht um die Olivenbauern vor der Gewalt der Siedler zu schützen. Sondern mit militärischen Verordnungen, die das Gebiet zum Sperrbezirk erklären und Baschars Erntehelfern das Betreten der Felder verbieten. Für Baschar ist die Frage nicht, ob sie kommen, sondern nur wann.

Über Burins Olivenhainen liegen die Siedlungen Bracha und Jitzhar und gleich mehrere Außenposten, illegal selbst nach israelischem Recht. Vier- bis fünfmal seit Beginn der Ernte vor rund zwei Wochen hätten die Siedler die erntenden Bauern allein in Burin angegriffen, sagt Samir.

Der Palästinenser aus dem Nachbarort Awarta koordiniert Ernte-Einsätze der israelischen Organisation Rabbis für Menschenrechte (Rabbis for human rights) in dem Gebiet. “Jeden Schabbat touren die Siedler durch das Dorf, werfen Steine”, sagt Samir. Jede Woche gebe es Probleme, “überall in der Westbank. Die Siedler reißen junge Bäume heraus, zünden Bäume, Autos und Häuser an, und Polizei und Armee tun nichts”.

Oliven sind für nicht wenige Palästinenser ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Für alle aber sind sie viel mehr als das: Symbol der Verbindung zum Land, Zeichen der Tradition, Sinnbild der Widerstandsfähigkeit. Traditionell ist die Ernte Familienangelegenheit – und Anlass zu geselliger Freude. Jetzt suchen die Olivenbauern den Schutz israelischer und internationaler Freiwilligen, um sich noch in ihre Felder zu trauen. Deren Präsenz konnte in der Vergangenheit oft schlimmeres verhindern.

Seit dem 7. Oktober 2023 und dem nachfolgenden Krieg aber scheinen die gewalttätigen radikalen Siedler entfesselt. In Turmus Aya, 25 Kilometer weiter im Süden, wurde vor zehn Tagen eine Palästinenserin von vermummten Siedlern mit Schlagstöcken krankenhausreif geprügelt. Das UN-Menschenrechtsbüro zeigte sich alarmiert. Die Gewalt extremistischer Siedler während der Olivenernte sei “explosionsartig” gestiegen, ebenso die Einschränkungen der Bauern durch israelische Sicherheitskräfte.

Geahndet werden die Übergriffe in aller Regel nicht, obwohl viele von ihnen genauestens dokumentiert sind. Bei allen bisher registrierten Überfällen sei kein einziger Angreifer festgenommen worden, beklagt Rabbis for human rights-Direktor Avi Dabusch und spricht von einer “selektiven Durchsetzung der strengsten und gefährlichsten Art”.

Neun Militärsperrgebietsverordnungen und drei brutale Siedlerangriffe in 13 Tagen: Das ist die frustrierende Bilanz, die Dabusch und die Rabbiner für Menschenrechte zu ihren diesjährigen Einsätzen ziehen. “Es ist ein Tausendstel von dem, was Palästinenser abbekommen”, sagt Amitai aus dem galiläischen Kfar Vradim.

Seit Jahren kommt er zur Olivenernte, “vielleicht vier bis sechs Mal pro Jahr”, um Israelis und auch den Palästinensern in der “Welt voll Bösem, Wahnsinn und Grausamkeit”, in der sie seit mindestens zwei Jahren lebten, in Erinnerung zu rufen, “dass jenseits von allem auf der anderen Seite ein Mensch ist”.

Auch Joseph Zeira kommt seit rund 20 Jahren “ein bis drei Mal pro Ernte” zum Helfen. Die diesjährige Ernte sei in Sachen Gewalt “die schlimmste, die ich gesehen habe”. Der emeritierte Wirtschaftswissenschaftler aus Jerusalem hat sich in seiner wissenschaftlichen Karriere unter anderem mit den Kosten des Konflikts auseinandergesetzt. Für den Anstieg der Gewalt hat er seine eigene Theorie: Die Siedler seien wütend über den Waffenstillstand in Gaza und ließen ihre Wut an den Palästinensern und Aktivisten aus.

An diesem Erntetag kommen die Siedler nicht zum Angriff – weil die israelische Armee die Erntehelfer vorsorglich kaum zwei Stunden nach ihrer Ankunft festsetzt. Das Gebiet, bescheinigt ein später vorgelegter Zettel, wurde für 24 Stunden zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Auf einer Luftaufnahme ist eine rote Linie um Teile des Dorfes gezogen. Die Olivenhaine liegen in der verbotenen Zone.

Die Soldaten schneiden den Freiwilligen den Weg ab. Ausweise werden fotografiert. Wessen Dokument israelisch ist, der darf zunächst zurück in den Minibus. Ausländer müssen draußen bleiben. “Man bietet ihnen viel Aufmerksamkeit.” Der lächelnde Zynismus von Erntehelfer Amitai beißt.

Nach über einer Stunde des Wartens sortiert die herbeigerufene Polizei die Gruppe neu. Ein Teil, Israelis und Ausländer, wird angewiesen, den Ort zu verlassen. Zehn weitere, Israelis und Ausländer, werden unter dem Vorwurf, eine Armeeanordnung verletzt zu haben, auf die Polizeistelle der Siedlung Ariel gebracht. Weitere rund fünf Stunden vergehen, bis die meisten von ihnen wieder auf freiem Fuß sind, Fingerabdrücke und Fotos im System der Polizei, mit dem Verbot, die besetzten palästinensischen Gebiete in den nächsten 15 Tagen zu betreten und der Androhung von hohen Geldbußen bei Zuwiderhandlung.

Den Preis zahlen an diesem Tag alle. Die palästinensischen Olivenbauern, weil sie wieder allein in Angst vor der Siedlergewalt ernten müssen. Der palästinensische Fahrer aus Jerusalem, dessen Minibus für 30 Tage beschlagnahmt wird. Und die beiden jungen US-amerikanischen Jüdinnen, die mit einem Austauschprogramm nach Israel gekommen waren. Sie sind immer noch in israelischem Gewahrsam und sollen abgeschoben werden.