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Orban-Biograf warnt vor politischer Eskalation in Ungarn

Wie hat es ein Dorfjunge zum globalen Vorbild der Illiberalen geschafft? Dieser Frage geht eine neue Biografie des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban nach. Und zeichnet ein düsteres Bild für Europa.

In Ungarn spitzt sich ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl der Streit zwischen den Unterstützern und Gegnern von Präsident Viktor Orban weiter zu. “Hass und Emotionen” zwischen den beiden Lagern schürten ein Klima, in dem es zu Massenprotesten und Gewalt kommen könnte, warnt jetzt der ungarisch-italienische Historiker Stefano Bottoni im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das stelle auch die Europäische Union vor Schicksalsfragen.

Bottoni forscht als Professor für mittel- und osteuropäische Geschichte an der Universität Florenz. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse nächste Woche erscheint seine neue Biografie des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auch auf Deutsch. Was den ungarischen Regierungschef von Autokraten wie Wladimir Putin oder dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping unterscheide, sei seine demokratische Vergangenheit: Orban habe Ungarns demokratische Wende mitgestaltet, ehe er sein Land in ein illiberales, hybrides System umwandelte, so Bottoni.

Heute sei Ungarn ein politisches “Labor”. Formell immer noch eine Mehrparteien-Demokratie, in der es weder Massenunterdrückung noch politische Gefangene gebe, liefen doch alle Fäden bei Orban zusammen. “Deshalb sehen sich viele Menschen in und außerhalb Europas genau an, wie es ihm gelungen ist, die Situation einer Beinahe-Diktatur zu schaffen. Und das in einem Land, das immer noch NATO- und EU-Mitglied ist”, so Bottoni. Zu den Orban-Bewunderern zähle auch der Kreis um US-Präsident Donald Trump. Davon zeugten etwa Vertreter ungarischer Thinktanks, die in jüngerer Vergangenheit in die USA reisten – “erstmals in der Geschichte nicht, um zu lernen, sondern um selbst zu lehren”, so der Experte.

Bei der für April 2026 anberaumten Parlamentswahl bekommt die Orban-Partei Fidesz allerdings wohl ernsthaft Konkurrenz durch Oppositionsführer Peter Magyar. Dessen Tisza-Partei führt derzeit die Umfragen an.

Mit Blick auf einen Machtwechsel in Budapest sei nach Bottonis Ansicht “alles möglich” – von freien Wahlen bis hin zu undemokratischen Mitteln des Machterhalts. So könnte die Orban-Regierung versuchen, Magyar vom Rennen auszuschließen oder führende Tisza-Vertreter zu inhaftieren. Er verweist auf den Ausnahmezustand, der in Ungarn wegen des Ukrainekriegs verhängt wurde und der es Orban sogar ermögliche, die Wahl zu verschieben.

Fühle sich Orban in die Ecke getrieben, werde er aufs Ganze gehen, schätzt Bottoni. Das wäre auch für die EU eine Premiere und würde die Staatengemeinschaft vor eine Schicksalsfrage stellen: “Wie können wir es mit einer fast komplett ausgewachsenen Diktatur in den eigenen Reihen aufnehmen?”