Gewalt hinterlässt Spuren – körperlich wie seelisch, bei Männern wie bei Frauen. Um „Gewalterfahrungen von Jungen und Männern und die Folgen für ihre Gesundheit“ geht es am Freitag (28. November) bei einem Fachtag in Heidelberg, ausgerichtet anlässlich des sechsten Deutschen Männergesundheitsberichts der Stiftung Männergesundheit (Berlin).
„Die Folgen für die Gesundheit durch Gewalterfahrungen sind besonders bei früh erlebter Gewalt vielfältig“, sagte Martin Dinges dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Historiker ist einer der Autoren des Berichts und forscht seit rund 20 Jahren zu Männergesundheit. Gewalt erhöhe dauerhaft das Stresslevel, was wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 oder die Neigung zu Suchterkrankungen begünstige, berichtete er.
Psychische Auswirkungen zeigten sich in Depressionen, sozialem Rückzug, häufig verbunden mit einem massiven Vertrauensverlust gegenüber anderen Menschen. Dinges spricht von einem „Teufelskreis“. Männer seien somit im öffentlichen Raum Gewalt überdurchschnittlich stark ausgesetzt.
„Jungen und Männer sind in allen Lebensphasen potenziell Gewalt ausgesetzt“, betonte Dinges und nannte als Orte: Sportvereine, Peergroups, Kirchen, Pflegeeinrichtungen, Blaulichtberufe oder als Kinder in der Familie. Besonders betroffen seien Bürgerkriegsflüchtlinge, Menschen mit Behinderung oder ältere Männer. Teilweise sei die Neigung zur Gewalt kulturell geprägt.
Laut Polizeistatistik wurden 2024 rund 182.000 Männer Opfer von Gewaltdelikten – knapp 70 Prozent aller registrierten Fälle. Zwar sind Frauen häufiger von häuslicher Gewalt betroffen, doch auch etwa die Hälfte der Männer habe laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) schon Partnerschaftsgewalt erlebt. Ohne die Gewalt an Frauen kleinreden zu wollen, setzt sich Dinges dafür ein, auch Gewalt gegen Männer sichtbar zu machen.
Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Untersuchung zeigt zudem: Drei von fünf Männern berichten, in Kindheit oder Jugend Gewalt erfahren zu haben. „Gerade junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren werden besonders häufig Opfer schwerer körperlicher Gewalt“, sagte Peter Bienwald vom Interessenverband „Bundesforum Männer“ in Berlin. Der Referent für Jungen und junge Männer sieht zwei Problemfelder: das gesellschaftliche Bewusstsein und die Selbstwahrnehmung der Betroffenen.
Viele Männer hätten Schwierigkeiten, über eigene Gewalterlebnisse zu sprechen. Nötig seien „maßgeschneiderte Unterstützungsangebote mit Raum für Männlichkeitsreflexion“, so der Politikwissenschaftler. Doch an solcher Infrastruktur hapert es in Deutschland noch. Der frühere stellvertretende Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart), Dinges, beklagt „eine Vereinseitigung bei Forschung und gesellschaftlichem Diskurs“ zu Lasten von Gewalt betroffener Männer.
Weniger Forschung bedeute zugleich weniger finanzielle Mittel für spezifische Hilfseinrichtungen. Dabei zeigt gerade die jüngste Statistik der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz, dass immer mehr Männer Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen aufsuchen. Es brauche mehr solcher Angebote, fordern Bienwald und Dinges.
Denn die Dunkelziffer der von Gewalt betroffenen Männer dürfte hoch sein, heißt es auch in der KFN-Studie. Viele Männer verschweigen Gewalterfahrungen, um keine Schwäche zu zeigen und keine Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. „Hier wirkt das Männlichkeitskonzept nach dem Motto: ‘Entweder Opfer oder Mann’“, sind sich die Experten einig.
Unter Jugendlichen herrsche zudem oft eine Einstellung, bei der Gewalt als „etwas Normales“ gilt und Selbstverteidigung einen hohen Stellenwert hat. Tabuisiert bleibe Gewalt vor allem dann, wenn die Täterin eine Frau sei – etwa die Mutter, ein weibliches Familienmitglied oder die Partnerin. „Ich gehe davon aus, dass sich viele Männer gar nicht melden“, ist auch Felix Hechtel, Leiter der Fachstelle Gewaltschutz bei der Diakonie Baden in Karlsruhe, überzeugt.
Die Fachstelle steht allen offen, die in diakonischen Einrichtungen Gewalt erfahren – Mitarbeitenden, Bewohnern oder Peers. Ein Präventionskonzept gegen sexualisierte Gewalt ist für alle Einrichtungen – von der Behindertenhilfe über die Kinder- und Jugendhilfe bis hin zu Senioreneinrichtungen – verpflichtend. Denn: Jedes Gewaltopfer ist eines zu viel – egal, welchen Geschlechts. (3044/26.11.2025)