Kirche hat im Corona-Lockdown viele kreative Möglichkeiten entwickelt, ihre Angebote ins Internet zu verlegen. Verkündigung und Gemeinschaft konnten so zumindest teilweise aufrechterhalten werden. Aber was ist mit Veranstaltungen, die auf ganzheitliche Methoden setzen und Körper, Geist und Seele mit einbeziehen?
„Bibliodrama online – …für alle genug“, so hieß die Einladung, die vor einigen Wochen auf meinem Schreibtisch landete. Ich war verblüfft: Bibliodrama – das ist doch diese Methode, wo man von eigenen Erfahrungen ausgeht, um sich biblischen Texten anzunähern. Wo man in Rollen schlüpft, Texte schreibt, malt oder gestaltet, um die Geschichten sozusagen hautnah an sich heranzulassen. Und das soll digital, über den Computerbildschirm, funktionieren?
Zwei Videositzungen plus Zwischenzeit
Anruf bei Kerstin Schachtsiek, Nazareth-Diakonin aus Bielefeld und ausgebildete Bibliodramaleiterin, die den Workshop gemeinsam mit Anja Stieghorst aus Bremen anbietet. „Ich selbst habe auch noch nie einen Online-Workshop geleitet“, erklärt sie fröhlich. „Aber ich habe an zwei digitalen Veranstaltungen teilgenommen und war sehr beeindruckt, wie es funktioniert!“
Vorgesehen sind zwei Video-Sitzungen, erklärt sie mir – eine als Auftakt, um ins Thema einzuführen, und eine, in der die Erfahrungen zusammengetragen werden. Dazwischen liegen zwei Wochen, in denen alle Teilnehmenden ihre individuellen Beobachtungen und Erfahrungen machen können. Meine Neugier ist geweckt; ich melde mich an.
Am ersten Abend räume ich meinen Schreibtisch auf und stelle einen Tulpenstrauß ins Regal. Wenigstens etwas Atmosphäre an dem Platz, an dem ich normalerweise meinen Arbeitstag im Homeoffice verbringe! Papier und Buntstifte liegen bereit. Dann sitze ich etwas aufgeregt vorm Laptop. Wer wird da gleich auftauchen? Und was kommt auf mich zu?
Nach und nach erscheinen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Bildschirm. Zwölf sind es, zehn Frauen und zwei Männer, plus die beiden Leiterinnen. Freundliches Lächeln überall, ein paar erste tastende Worte. Die Vorstellungsrunde zeigt: Die meisten haben Bibliodrama-Erfahrung; einige sogar schon digital.
Schnell sind die Formalitäten geklärt. Wir bekommen Nummern, die die Redereihenfolge festlegen; hilfreich für das Video-Format. Wichtig außerdem: Auch in digitaler Form ist eine Bibliodrama-Gruppe ein geschützter Ort, aus dem keine persönlichen Dinge nach außen dringen sollen. Und: Es gibt kein Richtig oder Falsch; Verschiedenheit wird als Schatz verstanden.
Anja Stieghorst leitet die erste Übung an – dafür heißt es aufstehen und sich im Raum bewegen; den Alltag abschütteln, den Körper spüren, ankommen. Es ist angenehm, sich nach den Anweisungen zu bewegen. Hüpfen, gehen, auf dem Boden sitzen … und keiner schaut mir zu – tatsächlich ein Vorteil des Digitalen! Als nächstes kommen Gesten zu verschiedenen Worten: Fülle. Mangel. Genug. Zu viel. Zu wenig.
Als wir uns unsere Bewegungen gegenseitig vorführen wollen, zeigt sich dann auch ein Nachteil der Online-Form: Manches ist auf den kleinen Kacheln kaum zu erkennen, und als es darum geht, eine Geste nachzumachen, komme ich mir allein vorm Bildschirm ein bisschen komisch vor. Ähnlich geht es mir beim gemeinsamen Lesen des Bibeltextes, der Geschichte von der Speisung der 5000: Es entsteht eine interessante Klangwolke – aber meine Stimme höre ich eben doch am lautesten.
Dieser Zwiespalt zieht sich für mich durch. Es gibt Momente, in denen ich Gemeinschaft und Verbundenheit spüre; dann wieder wird mir bewusst, dass jede und jeder für sich vorm Computer sitzt. Aber auch dann sind intensive Momente möglich. Ich bin zum Beispiel erstaunt darüber, wie nah mir die Rolle, die ich in der Geschichte gewählt habe – die einer erschöpften Jüngerin, die einfach ein bisschen Ruhe haben möchte – kommt.
Die Frage, die Kerstin und Anja uns für die beiden folgenden Wochen mitgeben, lautet: Wo erlebt ihr Fülle, und wo Mangel? Auf diese Zwischenzeit war ich ursprünglich besonders gespannt. Ich hatte mir vorgenommen, wirklich aufmerksam durch den Alltag zu gehen und nach Momenten der Fülle und des Mangels zu suchen. Nach einer Woche fällt mir auf: Ich hab‘s komplett vergessen. Mein Vorsatz, achtsam zu sein, hat dem Alltag mit all seinen Anforderungen nicht standgehalten. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Ob es mir leichter gefallen wäre, „dranzubleiben“, wenn der Eingangsworkshop in echter, leiblicher Anwesenheit stattgefunden hätte? Schwer zu sagen. Immerhin gelingt mir das mit der Achtsamkeit in den folgenden Tagen besser, und ich schaffe es auch, einige „Fülle“-Momente in Fotos festzuhalten. Wir sollen ja etwas mitbringen, das unsere Erfahrungen symbolisiert.
Gemeinschaft, die wehmütig macht
Am nächsten Freitag versammeln wir uns wieder auf dem Bildschirm. Als die Gesichter nach und nach auftauchen, ist das ein bisschen wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Neben dem Austausch und dem Präsentieren unserer „Kunstwerke“ haben sich die beiden Leiterinnen noch einen weiteren Zugang zur Speisung der 5000 ausgedacht: Wir essen gemeinsam. Wirklich teilen können wir nicht, was wir uns zuvor bereitgelegt haben, aber wir zeigen und beschreiben uns die Speisen und erzählen, was wir damit verbinden. Es ist ein entspannte, freundschaftliche Stimmung, und gleichzeitig tut es fast weh, als eine sagt: „Mit so vielen Menschen habe ich schon seit einem Jahr nicht mehr zusammen gegessen.“