In Teilen des Gazastreifens herrscht laut einer Analyse der internationalen Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC) eine Hungersnot. Nach den jetzt veröffentlichten Daten ist der Regierungsbezirk der Stadt Gaza betroffen. Die katastrophale Lage dort werde sich bis Ende September voraussichtlich auf die Provinzen Deir al-Balah und Khan Yunis ausweiten, so die IPC-Experten.
Israel weißt Behauptung zurück
Die zuständige israelische Koordinierungsstelle für die besetzten Gebiete (Cogat) wies die Angaben umgehend als “falsch und voreingenommen” zurück. Das zugrundeliegende Material basiere zu einem erheblichen Teil auf fragwürdigen Daten der Terrororganisation Hamas. Die gesamte IPC-Analyse weise überdies gravierende methodische Mängel auf. Die Anstrengungen Israels bei der humanitären Versorgung würden völlig ignoriert. Die Behauptung, es herrsche eine Hungersnot im Gazastreifen, insbesondere in der Stadt Gaza, sei strikt zurückzuweisen.
Die Methodologie, die abhängig von der Art der verfügbaren Daten mit unterschiedlichen Schwellenwerten arbeitet, wird in der Studie selbst dargelegt. Unabhängige, repräsentative Datenerhebungen wurden von Israel bislang nicht ermöglicht.
“Fake-Kampagne” der Hamas
Das israelische Außenministerium warf den Verantwortlichen der Studie vor, eine “maßgeschneiderte” Auswertung für die “Fake-Kampagne der Hamas” veröffentlicht zu haben. Letztlich gehe es nur darum, Israel durch Lügen in den Schmutz zu ziehen. Die Versorgungslage im Gazastreifen stellte das Ministerium in scharfem Gegensatz zu Aussagen internationaler Hilfsorganisationen dar. In den vergangenen Wochen sei die Region so sehr mit Lebensmitteln “geflutet” worden, dass die Preise auf dem Markt stark gefallen seien.
Nach einer fünfstufigen IPC-Skala herrscht dann eine Hungersnot, wenn mindestens jeder fünfte Haushalt unter extremer Nahrungsmittelknappheit leidet und es deshalb zu Todesfällen kommt.
Eine halbe Million Menschen betroffen
Dies ist den neuen Zahlen zufolge der Fall. Von der Hungersnot seien eine halbe Million Menschen betroffen. Weitere 54 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens (knapp 1,1 Millionen) befänden sich in einer Notsituation (Stufe 4), weitere knapp 400.000 Menschen in einer Krisensituation (Stufe 3). Die Ernährungsunsicherheit werde in den nächsten Wochen weiter zunehmen, so die Prognose.
Laut der IPC-Einschätzung ist davon auszugehen, dass bis Mitte 2026 etwa 132.000 Kinder im Alter von unter fünf Jahren vom Hungertod bedroht sind. Die Organisation forderte einen sofortigen Waffenstillstand in der Region.
Menschenrechtskommissar spricht von Kriegsverbrechen
Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen, Volker Türk, gab Israel die Schuld an der Situation. In einer Stellungnahme erklärte er: “Wir haben bereits Todesfälle aufgrund von Hunger und Unterernährung im gesamten Gazastreifen gesehen. Das israelische Militär hat wichtige zivile Infrastruktur und fast alle landwirtschaftlichen Flächen zerstört, das Fischen verboten und die Bevölkerung gewaltsam vertrieben – all das trägt zu dieser Hungersnot bei.” Türk fügte hinzu: “Es ist ein Kriegsverbrechen, Hunger als Kriegsmittel einzusetzen.” Die israelischen Behörden müssten unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Hungersnot im Gouvernement Gaza zu beenden und weitere Todesfälle zu verhindern.
Mehrere internationale Hilfsorganisationen äußerten sich ähnlich. Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland, erklärte: “Die Feststellung der Hungersnot bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen. Schwer mangelernährte Kinder sterben vor den Augen ihrer Eltern, weil ihnen lebensrettende Hilfe verwehrt wird.” Dies dürfe nicht weiter zugelassen werden. Schneider forderte unter anderem einen uneingeschränkten und sicheren Zugang ins Krisengebiet.
