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Nicht haben macht glücklich

Mit nur 100 Dingen ein ganzes Leben gestalten? Es gibt Menschen, die das versuchen. Sie erhoffen sich ein intensiveres Lebensgefühl – eine Erfahrung, die Gläubige schon lange kennen

Verzicht. Was für ein unschönes Wort. Gleich kommen einem Ratschläge des Arztes und Diät-Tipps in den Sinn. Einschränkungen. Weniger Genuss, weniger Lebenslust. Stattdessen der verbissene und oft genug vergebliche Kampf mit dem inneren Schweinehund.

Warum also üben sich seit Jahrhunderten die Gläubigen vieler Religionen genau darin – dem Verzicht? Weil mit diesem Kampf immer auch ein Versprechen einhergeht: Wenn du verzichtest, bekommst du etwas dafür. Mehr Gesundheit, mehr Gelassenheit, mehr Energie. Oder, religiös gesprochen: Durch das Weglassen von Genüssen und Gewohnheiten, die sonst wegen ihrer Alltäglichkeit gar nicht mehr wahrgenommen werden, soll der Mensch frei werden – für Gott und für das Leben.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von – vor allem jungen – Menschen, die diese Lebenshaltung zu ihrem Prinzip gemacht haben. Man nennt sie Minimalisten oder freiwillige Konsumverzichter. Es sind die, die genug haben von dem Versprechen: Haben macht glücklich. Für sie gilt das Gegenteil: Nicht haben macht glücklich, denn es befreit von dem Zwang des „Immer mehr“.

Unter den Minimalisten sind solche, die sich einen Sport daraus machen, ihr Leben mit 100 oder sogar nur 50 Dingen zu gestalten – inklusive Kleidung, Geschirr, Elektronik und Möbeln. Ihre Begründung lautet: Es reist sich leichter mit weniger Gepäck, auch übertragen aufs Leben. Wenn ich mich nicht von Besitz ablenken lasse, kann ich mich mehr auf die wesentlichen Dinge konzentrieren wie Beziehungen, Ruhezeiten und den Genuss von einfachen Dingen.

Man kann diese Haltung als den Luxus einer Generation abtun, die eigentlich schon alles hat und plötzlich merkt, dass Besitz allein nicht zufrieden macht. Aber sie hat auch eine andere Seite: Es ist die Erkenntnis, dass die unersättliche Gier nach Mehr, die Triebfeder unseres Wirtschaftssystems, an ihre Grenzen stößt. Wenn die Ressourcen erschöpft sind, wenn die Umwelt vergiftet und zugemüllt ist und das Klima außer Rand und Band, dann ist Konsumverzicht vielleicht doch der einzig richtige Weg.

Aber bringt das denn etwas, als Einzelner auf Konsum zu verzichten? Hat es irgendeine Auswirkung auf die Probleme dieser Welt, ob ich nur Secondhand-Kleidung kaufe, auf Fleisch verzichte, meine Lebensmittel ohne Plastikverpackung einkaufe oder mit dem Rad zur Arbeit fahre? Ja – zumindest für mich selbst macht es einen Unterschied. Und noch einmal ja, denn ich bin nicht allein. Es gibt mehr Menschen, die sich diese Fragen stellen, als man so denkt.

Dabei gilt: Es ist nicht wichtig, alles auf einmal zu lassen. Es ist auch nicht wichtig, sich sklavisch an bestimmte Vorstellungen wie die von den 100 Dingen zu halten. Vielmehr geht es darum, das Maß dessen zu finden, was für mich notwendig ist – und dieses Maß dann nicht mehr zu überschreiten. Ob das etwas verändert für mich und die Welt, das weiß ich erst dann, wenn ich es ausprobiert habe. Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, damit anzufangen.