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Nahost-Konflikt im Vatikan: Streit um Wahrheit und Frieden

Papst Franziskus hat am Mittwoch Angehörige israelischer Hamas-Geiseln sowie Verwandte von Palästinensern in Gaza getroffen. Anschließend setzten sich die Delegationen in Rom für ihre Anliegen ein, der Vatikan reagierte verhalten.

Am Ende des Tages stand ein Eklat: Hat der Papst das Wort Genozid im Zusammenhang der Bombardements auf Gaza benutzt oder nicht? Die Teilnehmenden eines Treffens mit dem katholischen Kirchenoberhaupt behaupteten dies bei einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Am Morgen hatte Franziskus eine Gruppe Angehöriger von Palästinensern aus Gaza getroffen. Als sie mit ihm über die Lage vor Ort sprachen, soll das katholische Kirchenoberhaupt angesichts der vielen Toten gesagt haben: “Ich sehe den Genozid.”

Vatikansprecher Matteo Bruni reagierte auf Anfrage von Journalisten prompt. Ihm sei nicht bekannt, dass der Papst dieses Wort benutzt habe. Er habe sich der Wörter bedient, die er auch bei seiner Generalaudienz verwandt hat; ebenso jene, “die auf jeden Fall die schreckliche Situation in Gaza darstellen”. Die Teilnehmenden des Treffens beharrten auf ihrer Darstellung. Es sei interessant, dass Palästinenser immer alles beweisen müssten, hieß es verstimmt.

Der Vatikan selbst hatte sich offenbar um ausgeglichene Verhältnisse bemüht. Vor seiner wöchentlichen Generalaudienz traf der Papst sowohl die Angehörigen von Palästinensern in Gaza als auch Verwandte von israelischen Geiseln der Terrororganisation Hamas. Beide Zusammenkünfte im Vatikan dauerten etwa 20 Minuten; anwesend waren jeweils zehn bis zwölf Personen. Anschließend hatten beide Botschaften beim Heiligen Stuhl – denn der Vatikan erkennt Palästina als Staat an – Pressekonferenzen in Rom organisiert. Die Parteien nutzten das große Medieninteresse für ihre jeweiligen Anliegen.

Die zwölf Angehörigen von Hamas-Geiseln zeigten die roten Vermissten-Plakate ihrer Verwandten. Vor Journalisten sprachen sie über ihre Kinder, Eltern, Brüder, Schwestern, Nichten und Neffen, die von der Hamas am 7. November getötet oder nach Gaza verschleppt wurden. Seitdem fehle von den Entführten jedes Lebenszeichen. Die Treffen mit Papst und Journalisten sollten Aufmerksamkeit auf diesen Umstand lenken. “Das ist unser einziges Anliegen im Moment: die Rückkehr unserer Lieben so schnell wie möglich”, sagte Israels Vatikan-Botschafter Raphael Schutz.

Den Papst selbst hätten sie bei ihrem Treffen um Einsatz für ihre Angehörigen gebeten. Mit seinem Einfluss könne er vieles möglich machen. Neben der Freilassung fordern die Verwandten etwa einen Zugang des Roten Kreuzes zu den Geiseln, um deren Konstitution zu untersuchen. Der Papst habe sich sehr mitfühlend gezeigt. Obwohl das Treffen kurz gewesen sei und nicht jeder habe sprechen können, so seien sie sicher, ihre Botschaft überbracht zu haben. Zudem seien sie dankbar für die Dinge, die er sicher schon getan habe und weiter tun werde.

Die Verwandten von Palästinensern in Gaza zeigten sich ebenfalls zufrieden mit dem Gespräch. Es sei sogar spektakulär gewesen, was Franziskus über die Lage in Gaza wisse – etwa von dem Mangel an Wasser, Nahrungsmitteln und Medizin. Bei ihrer Pressekonferenz sprachen auch sie über getötete Angehörige und Freunde, gestorben durch israelische Bomben oder aufgrund fehlender medizinischer Versorgung. Auf eine Leinwand projizierte Fotos zeigten Schwerverletzte oder Tote, darunter viele Säuglinge und Kinder.

Den Papst baten sie nach eigener Aussage, sich für einen langfristigen und gerechten Frieden einzusetzen; ein Waffenstillstand sei nicht genug. Weiter hätten sie das katholische Kirchenoberhaupt eingeladen, in den Gazastreifen zu reisen.

Der Vatikan hatte nach den Treffen mitgeteilt, eine kurze Notiz über Inhalte veröffentlichen zu wollen. Bislang verlautete nichts. Der Papst hingegen äußerte sich zwei Mal zu dem Krieg in Nahost. In einem Videoappell sagte er: “Das palästinensische Volk und das israelische Volk haben ein Recht auf Frieden.” Anschließend rief er zum Gebet für die beiden “Geschwister-Völker” auf, damit “sich die Schwierigkeiten durch Dialog und Verhandlungen lösen lassen – und nicht durch einen Berg von Toten auf beiden Seiten”.

Ähnlich waren seine Worte bei der Generalaudienz. Offenbar noch berührt von den Treffen mit den Angehörigen sagte er zudem: “Sie leiden so sehr, und ich habe gehört, wie sie beide leiden. Kriege verursachen das. Aber hier sind wir über Kriege hinausgegangen; das ist keine Kriegsführung, das ist Terrorismus.” Ob er damit beide Kriegsparteien meinte oder nur eine, blieb offen.