Zwischen Israel und der Hisbollah ruhen seit Mittwoch die Waffen. Zu Freude und Erleichterung gesellt sich bei libanesischen Christen aber auch die Sorge vor der Zukunft.
Das wenige Stunden alte Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und dem Libanon sorgt bei libanesischen Christen und Vertretern kirchlicher Einrichtungen für Entlastung. Gleichzeitig äußern sie aber auch die Sorge vor einem Wiederaufflammen der Gewalt. Auch Bürgerkriegszustände seien möglich. Für ein genaues Bild der Lage und das Ausmaß der Schäden sei es aber noch zu früh.
Niemand könne gegenwärtig die Zukunft des Libanons voraussagen, sagte der melkitische Pfarrer von Zahle in der Bekaa-Ebene, Joseph Saghbini, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Man hoffe und bete, “dass dieser Krieg letztendlich zu einer gerechten und dauerhaften Friedenslösung für das Heilige Land und die gesamte Region und sogar für die ganze Welt führen wird”.
Auf eine “Oase der Hoffnung” hofft auch der libanesische Franziskanerpater Toufic Bou Merhi, der für die katholischen Pfarreien in Tyros und Deir Mimas im südlibanesischen Kriegsgebiet verantwortlich ist. Es gelte, Zuflucht zum Frieden zu suchen und Raum für Versöhnung und Vergebung zu schaffen. Die Frage laute, wozu der Waffenstillstand genutzt werde: “Um die Bedingungen für den Frieden zu studieren oder um sich das zu beschaffen, was in ihren Arsenalen aus Hass, Tod und Verzweiflung noch fehlt?” Die Libanesen müssten lernen, zu lieben, um ein Land aufzubauen, “in dem Würde, Ehre und Respekt gemeinsame Werte sind”, so der Ordensmann.
Die größte Sorge sei nun, ob die Hisbollah tatsächlich ihre verbliebenen Waffen ruhen lasse, sagt Michel Constantin, Regionaldirektor des päpstlichen Nahost-Hilfswerks “Päpstliche Mission” für Libanon, Syrien, Irak und Ägypten, auf Anfrage der KNA. Sollte die Hisbollah ihr Arsenal intern im Libanon einsetzen, um ihre Macht im politischen Mosaik des Landes zu behalten, drohten massive innere Störungen bis hin zum Bürgerkrieg, glaubt der libanesische Christ.
Um das Abkommen mit Israel umzusetzen, benötigt die libanesische Armee nach Einschätzung Constantins deutlich mehr Soldaten. Ferner sei unklar, “ob die 60-tägige Frist für den Rückzug der israelischen Armee vollständig ausgeschöpft wird, oder ob die libanesische Armee vor Ablauf dieser Frist die Kontrolle über das gesamte Gebiet übernimmt”.
Constantin berichtet von emotionalen Szenen unmittelbar nach Inkrafttreten des Waffenstillstands. Vertriebene, unter ihnen viele Schiiten, hätten ähnlich wie nach dem israelisch-libanesischen Krieg von 2006 ihre provisorischen Unterkünfte verlassen und seien in die zerstörten Häuser und Dörfer zurückgekehrt.
Von “überwältigender Freude und unbeschreiblicher Ekstase” sowie “rasanten Auto-Konvois” in die kriegsbetroffenen Regionen berichtet auch Saghbini. Der Waffenstillstand in einem von beiden Konfliktparteien als existenziell empfundenen Krieg werde von den Menschen im Libanon als Sieg verstanden und gefeiert. “Der Libanon blieb standhaft, und sein Volk blieb standhaft, und das Ergebnis war ein entscheidender Sieg”, so Saghbini.
Die Rückkehr in die kriegsbetroffenen Gebiete sei mit großen Schwierigkeiten verbunden, sagte Constantin der KNA. Nach seinen Worten ist die Zerstörung in christlichen Dörfern des Südlibanons im Vergleich zu schiitischen Orten geringer. Zur Sprengung von Häusern komme die Vernichtung von Infrastruktur sowie sozialer und geschäftlicher Zentren. Noch warne zudem die israelische Armee vor einer Rückkehr in das evakuierte Gebiet.
Constantin verweist auf Schätzungen der Weltbank, die umgerechnet knapp 8 Milliarden Euro an Wiederaufbaukosten für das Land veranschlagen. Bisher gebe es angesichts der zahlungsunfähigen libanesischen Regierung und der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise im Land jedoch “keine Anhaltspunkte dafür, wer den Wiederaufbau finanzieren könnte”.
Priorität hat für die Päpstliche Mission die Hilfe für die geflohenen Menschen. Man wolle ihnen helfen, “zu einem normalen Leben zurückzukehren”, betont Constantin. Ebenso wolle man kirchliche Einrichtungen, insbesondere Schulen und Sozialzentren, dabei unterstützen, ihre Aktivitäten wieder aufzunehmen. Neun katholische Schulen an der Grenze benötigten möglicherweise dringend Hilfe bei der Sanierung sowie der Finanzierung von Heizöl und Lehrergehältern.