UK 33/2017, Leserbrief Henrich (Seite 2: „Reformationsjubiläum: Zurück nach vorn“)
Dem Leserbrief kann ich größtenteils zustimmen. Vor allem seine Forderung für eine Rückbesinnung auf die theologischen Grundlagen findet meine volle Unterstützung. Martin Luthers vier „soli“ (Bibelzentrierung, Christuszeugnis, Gottesglaube und Rechtfertigungsgnade) müssen die kompromisslosen Basiswerte der evangelischen Landeskirchen bleiben.
Angesichts jährlicher Austritte von rund 180000 Mitgliedern versuchen leider auch protestantische Leitungsgremien mit „Zeitgeistangeboten“ zu punkten. Nachfolgend einige zweifelhafte Belege: Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin sah ich auf dem Markt der Möglichkeiten einen offiziellen Stand zur sadomasochistischen Liebe als akzeptable Sexualität. Auf dem diesjährigen Christopher-Street-Day-Umzug, ebenfalls in Berlin, mit einem lasziven Exhibitionismus der Teilnehmer ließ die evangelische Kirche einen eigenen Motivwagen mitfahren. Und beim Heavy-Metal-Festival in Wacken stellte auch die evangelische Kirche für die 80000 Besucher Betreuungspersonal zur Verfügung. Als ein Fernsehteam filmte, wurde der Rockklassiker „Highway zu hell“ (Straße zur Hölle) bierselig gegrölt.
In Publikationen von der taz bis zur ZEIT kommen die protestantischen Kirchen oft nur noch als Wellness-Agenturen für unsere gegenwärtige Event- und Spaßgesellschaft vor. Damit wird meiner Ansicht nach Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ pervertiert. Welchen gemeindlichen Stellenwert haben da noch seine sperrigen Begriffe Sünde, Gericht, Hölle und Teufel in Andachten und Predigten? Zeitgeist kritische Theologen sehen die Zukunft der evangelischen Kirchen in Deutschland bei Anbetung, Seelsorge und Diakonie.
In einer Zeit zunehmender Zukunftsängste, psychischer Belastungen, Sinndefizite sowie Orientierungslosigkeit sollte Kirche wieder stärker ein ganzheitliches menschliches Netzwerk sein. Wir Christen haben immer noch eine starke gesellschaftliche Stellung bei den Lebensabschnittbereichen Taufe, Konfirmation/Firmung, Beerdigung und bei den Einrichtungen von den Kindergärten bis zu den Hospizen. Biblische Verkündigung, praktische Lebens- und Nothilfe sowie eine begleitende Seelsorge sind die eigentlichen „Muttersprachen“ der christlichen Gemeinden. Dort müssen wieder mehr Kräfte und Zeit gebündelt werden für unsere Haupt- und Ehrenamtlichen.
Herman Reyher, Kierspe