Christliche Seelsorge ist in Gefängnissen fest etabliert, ein ähnliches Angebot für Muslime noch recht neu. Die Bundesländer regeln das jeweils unterschiedlich. Luay Radhan war vor fünf Jahren der erste muslimische Gefängnisseelsorger in Rheinland-Pfalz. Inzwischen beschäftigt das Land vier muslimische Seelsorger, die Muslimen in allen Hafteinrichtungen im Land ein Angebot machen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Radhan über Unterschiede zu christlichen Seelsorgern, den Alltag und besondere Herausforderungen von muslimischer Seelsorge im Gefängnis.
KNA: Herr Radhan, es gibt einige Besonderheiten bei der muslimischen Gefängnisseelsorge. Christliche Seelsorger unterliegen etwa der Schweigepflicht, Sie nicht. Was bedeutet das?
Radhan: Muslimische Seelsorger haben im Gefängnis nicht den gleichen Status wie christliche Seelsorger, vor allem kein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht. Konkret bedeutet das: Sollte ein Gericht mich vorladen und eine Aussage über ein Gespräch mit einer Person verlangen, müsste ich aussagen. Es gibt Personen, die uns deshalb nicht Seelsorger nennen. In der Realität ist dieser Fall bei mir aber noch nie vorgekommen, und ich hoffe, das bleibt so. Am heikelsten wäre die Lage in der Untersuchungshaft, weil dort vieles noch nicht geklärt ist und noch ermittelt wird. Dort könnte ein Gespräch mit einem Inhaftierten am ehesten ein Gericht interessieren.
KNA: Schränkt das Ihre Arbeit ein?
Radhan: Für uns muslimische Seelsorger in Rheinland-Pfalz ist als Grundregel klar, dass wir Vertrauliches nicht einfach weitergeben dürfen. Wir sind zugleich verpflichtet, Dinge zu melden, wenn es um Gefahr geht. Das wollen wir aber auch. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen unserer Ausübung der Seelsorge und unseren Verpflichtungen. Wenn jemand klar andeutet, dass er suizidal ist, oder einem anderen ernsthaft etwas antun will, müssen wir das melden und wollen das auch. Das sagen wir den Inhaftierten auch. Es wäre für mich schwer mit dem Gewissen zu vereinbaren, zu wissen, dass ich etwas Schlimmes hätte verhindern können, es aber nicht getan habe. Das ist für mich die Kehrseite der Schweigepflicht.
KNA: Sie sind beim Staat angestellt und nicht an einen Islamverband angebunden. Vorteil oder Nachteil?
Radhan: Beides. In Rheinland-Pfalz hat man entschieden, qualifizierte Personen einzustellen, die nicht von einer Organisation abhängen. Der Vorteil ist, dass mich kein Verband beeinflussen kann. Es gibt aber auch Nachteile. Mir stellt kein Islamverband Ressourcen zur Verfügung, ich muss Korane und Gebetsteppiche bei der Anstalt beantragen, und sie sind oft Mangelware. Meine christlichen Kollegen beispielsweise, mit denen ich gerne zusammenarbeite, haben keinen Mangel an Bibeln in allen Sprachen.
KNA: Wie sind Sie zu dem Job gekommen?
Radhan: Ich habe in Islamwissenschaft promoviert und dann in Nordrhein-Westfalen im Gefängnis in der Prävention gearbeitet. Dort habe ich Fortbildungen für Mitarbeitende zu den Themen Islam, Muslime, Prävention und Radikalisierung angeboten. Auch arabische Bücher geprüft, die bei Inhaftierten gefunden wurden. Meistens handelte es sich um den Koran oder unbedenkliche Bücher. Seit fünf Jahren bin ich muslimischer Gefängnisseelsorger in Rheinland-Pfalz.
KNA: Es gibt viele islamische Denkschulen. Wie gehen Sie im Gefängnis mit der Vielfalt um?
Radhan: Die Schulen im Islam sind absolut vielfältig – ähnlich zu den christlichen Kirchen. Die Mehrheit in Deutschland betrachtet sich der Denkschule der sunnitischen Muslime zugehörig. In Details gibt es viele Unterschiede. Die spielen im Gefängnis-Alltag meist keine große Rolle. Ich bin mit dem sunnitischem Islam aufgewachsen. Mir ist zugleich wichtig, anti-spalterisch unterwegs zu sein. Nach den Sunniten sind Schiiten und Aleviten die größten Gruppen in Deutschland, und ich versuche, ihnen gegenüber hier im Gefängnis zu zeigen, dass ich – christlich gesprochen – für Ökumene bin.
KNA: Wie gehen Sie mit extremen Einstellungen um?
Radhan: Mit Extremisten und Menschen, die Religion für Gewalt missbrauchen, tue ich mich schwer. Ich bin überzeugt, dass man der Wahrheit ins Auge sehen und akzeptieren muss, dass es auch unter Muslimen Terroristen und Verbrecher gibt. Manche sprechen solchen Extremisten ihre muslimische Identität ab. Ich kann das emotional verstehen, finde es aber besser, das nicht zu tun, denn es ist typisch für Extremisten, andere ungläubig zu nennen. Ich hatte zum Glück noch keine Extremfälle, konkret beispielsweise keinen IS-Anhänger im Gefängnis. Sehr wenige Inhaftierte vertreten intolerante Einstellungen. Wenn sie gesprächsbereit sind, rede ich mit ihnen, argumentiere, diskutiere. Wer nicht zu einem Gespräch bereit ist, den erreiche ich nicht.
KNA: Wie beschreiben Sie ihre Rolle?
Radhan: In erster Linie will ich unterstützen. Die Inhaftierten bei ihrer Religionsausübung und wenn sie jemanden von der eigenen Religionsgemeinschaft im Vertrauen sprechen wollen. Es gibt viele, die das islamische Gebet nie richtig gelernt oder es vergessen haben und neu lernen wollen. Manche haben konkrete theologische Fragen, wollen wissen, wie eine Koranstelle zu verstehen ist. Manches besprechen wir im Einzelgespräch, manches im Gesprächskreis Islam. Mein Wunsch ist, dass sich die Inhaftierten ordentlich verhalten, was im Jugendvollzug nicht so einfach ist. Ich finde interreligiösen und interkulturellen Frieden extrem wichtig. Deshalb hoffe ich, dass jemand, der sich im Knast in seiner Religionsausübung respektiert fühlt, ausgeglichener ist.
KNA: Wo kommen Sie an Grenzen?