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Museumschef Köhne zum 1.300-Jahr-Jubiläum Klosterinsel Reichenau

Alles andere als ein finsteres Mittelalter: Die Klosterinsel Reichenau war ein europäisches Zentrum für Kunst, Kultur und Religion. Aus internationalen Museen kehren jetzt kostbare Kunstwerke an den Ort ihrer Entstehung zurück.

Der Direktor des Badischen Landesmuseums, Eckart Köhne, beschreibt im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) Highlights des Reichenau-Jubiläums und der dazugehörigen Ausstellung in Konstanz. Er verspricht weltbekannte Kunstschätze und eine Verbindung vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart.

KNA: Das Jubiläum “1.300 Jahre Klosterinsel Reichenau” hat mit einem Etat von vier Millionen Euro in den kommenden Monaten viel vor. Was erwartet die Besucher auf der Reichenau?

Eckart Köhne: Die einmalige Gelegenheit, bedeutende Kunst- und Kulturschätze an dem Ort zu erleben, an dem sie vor mehr als einem Jahrtausend entstanden sind. Besucher können die Reichenau als lebendige Klosterinsel in der touristisch spannenden Bodenseeregion entdecken. Beispielsweise die mittelalterlichen Inselkirchen mit ihren besonderen Wandmalereien.

KNA: Was steht im Mittelpunkt der kulturgeschichtlichen Ausstellung in Konstanz?

Köhne: Für die Große Landesausstellung ist es uns gelungen, bedeutende Exponate aus internationalen Museen und Bibliotheken für eine kurze Zeit zurück an den Bodensee zu holen. Zum Beispiel mehrere zum Unesco-Welterbe zählende Prachthandschriften wie das Liuthar-Evangelienbuch aus dem Aachener Domschatz oder die Egbert-Psalmengebetssammlung aus Cividale del Friuli.

Der Louvre leiht uns zwei Elfenbein-Reliefs aus. Auch die Bürgli-Glocke aus Gailingen, die älteste Glocke Baden-Württembergs, ist eine Besonderheit. Genauso wie der vielleicht weltweit älteste erhaltene Wetterhahn.

KNA: Wieso waren Klöster in der mittelalterlichen Welt so wichtig?

Köhne: Die mittelalterliche Gesellschaft war – ganz anders als heute – von Glaube und Religion durchdrungen. Das diesseitige Leben war stets auch auf das jenseitige ausgerichtet. Klöster waren bedeutende Orte der Spiritualität. Und die Mönche beteten keineswegs nur für sich selbst, sondern für alle Menschen, die mit dem Kloster verbunden waren. Die Klöster waren wichtige Mittler und Garanten, damit die weltlichen Menschen auch das Seelenheil im Jenseits erlangen konnten. Im Reichenauer Verbrüderungsbuch, das diese geistliche Verbundenheit dokumentiert, sind fast 40.000 Namen festgehalten.

KNA: Also ging es den Mönchen vor allem um frommes Gebet hinter verschlossenen Klostermauern?

Köhne: Das war der Kern. Darüber hinaus war das Kloster Reichenau aber auch ein bedeutender Ort der Wissenschaft und der Kunst. Abt Walahfrid Strabo hat um 840 auf der Reichenau das erste Gartenhandbuch geschrieben. Hermann der Lahme hat hier über Musik, Mathematik und Astronomie geforscht. Er hat eine ganze Generation von Wissenschaftlern geprägt. Im neunten Jahrhundert waren Reichenauer Mönche im kaiserlichen Auftrag als Diplomaten in ganz Europa unterwegs. Und für fürstliche Auftraggeber entstanden die extrem aufwendigen und kostbaren Prachthandschriften, die wir nun in der Ausstellung zeigen können.

KNA: Aber was hat das alles mit heute zu tun?

Köhne: Das Jubiläum ist eine Einladung, den bis heute sichtbaren und wirksamen Traditionslinien zu folgen. Beispielsweise auch mit unserer multimedialen Jubiläums-App. Der Obst- und Weinbau geht auf die Klosterzeit zurück. Die das Ortsbild prägenden Kirchen entstanden damals. An den Inselfeiertagen werden bis heute Heiligen-Reliquien über die Insel getragen, die von der Bedeutung der Reichenau im Mittelalter Zeugnis geben. Und selbst die Benediktiner sind mit einer kleinen Gemeinschaft aus drei Mönchen und zwei Ordensfrauen wieder auf die Insel zurückgekehrt. Unser Jubiläum lädt dazu ein, die 1.300 Jahre zurückreichenden Wurzeln der bis heute lebendigen Kultur zu entdecken.