Auch im Sommer sterben Menschen. Für Hinterbliebene kann das besonders schwer sein: Trauer zwischen Biergarten und Strandbesuch? Expertinnen haben Tipps, wie die “schönste Zeit des Jahres” trotzdem gelingen kann.
Seit Jahren reist die Großfamilie zusammen nach Italien – dann stirbt die Mutter. Während der Großvater bei der Rückkehr an den gemeinsamen Urlaubsort die aufkommenden Erinnerungen genießt, möchte seine Ehefrau nur weinen, fühlt sich überrollt und allein. Das Beispiel zeigt, wie unterschiedlich Menschen mit Trauer umgehen – auch im Urlaub.
Wer einen nahestehenden Menschen verloren hat, hat die Trauer meist “im Gepäck”, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper. Die Trauerbegleiterin und Leiterin des “Lavia”-Instituts in Gelsenkirchen kennt die vielen Momente, in denen Betroffene begreifen, was – und vor allem: wer – fehlt. Das kann bei der Rückkehr in ein leeres Haus sein, an einem neuen Ort, den man lieber mit der verstorbenen Person gemeinsam erkundet hätte, auf einem langen Flug, auf dem man sich verloren fühlt, beim Anblick glücklicher Familien, die scheinbar keine “Lücke” aufweisen.
Viele Menschen schwankten in einer Trauerphase, berichtet Schroeter-Rupieper. “Einerseits zieht es einen weit weg, andererseits will man das Grab beispielsweise nicht alleinlassen.” Wichtig sei, darauf zu achten, was einem selbst gut tue – und sich womöglich an das Verreisen neu heranzutasten, etwa zunächst nur über ein langes Wochenende wegzufahren statt gleich für vier Wochen.
“Nichts ist ambivalenter als die Trauer”, sagt auch die Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge im Frankfurter Nordend, Verena Maria Kitz. Ihre Einrichtung wird vom Bistum Limburg getragen.
Kitz berichtet von einer Frau, deren Mann im Urlaub stets den Mietwagen fuhr – und für die es herausfordernd war, das nun selbst zu tun. Dass sie es trotz aller Aufregung schaffte, sei für sie ein gutes Gefühl gewesen. In Trauergesprächen über solche Erfahrungen stehen Kitz und ihre Mitarbeitenden jenen zur Seite, die einen lieben Menschen verloren haben. Bei ihnen können die Trauernden sich bewusst erinnern – oder auch einfach in geschützter Atmosphäre einmal durchatmen.
Ein besonderes Risiko besteht laut Kitz für beruflich eingespannte Menschen, die sich durch einen geregelten und getakteten Alltag von der Trauer ablenken. In der Urlaubszeit entfällt das oft. Wer sich dann zurückzieht und vielleicht niemanden sehen oder hören möchte, könne schnell den Boden unter den Füßen verlieren, weiß Kitz. “Sich eine Tagesstruktur zu überlegen, ist deshalb hilfreich.”
Freunden von Trauernden sei zu empfehlen, gerade auch im Sommer immer wieder auf die Betroffenen zuzugehen und ihnen ihre Gesellschaft anzubieten. “Sich zurückzuziehen aus falsch verstandener Rücksichtnahme ist nicht das Richtige. Es ist immer besser zu fragen und auch, konkrete Vorschläge für ein Treffen zu machen”, betont Kitz.
Gemeinsame Zeit helfe gegen drohende Einsamkeit; auch zusammen schweigend auf einer Bank im Park zu sitzen, könne dazugehören. Denn nicht alle fühlten sich nach einem Abschied in einem Biergarten voller fröhlicher Menschen wohl. Ebenso sei ein Cluburlaub den meisten “zu laut”, bestätigt Schroeter-Rupieper. Ein Waldspaziergang oder eine Radtour könnten eine Alternative sein. Sie böten zudem die Chance, neue Rituale zu entwickeln: Die Expertin berichtet etwa von einem Mann, der von jedem Ausflug einen Kieselstein mitbringt – für das Grab.
Nicht nur die Art der Reise, auch das Ziel kann einen Unterschied machen. “Vielleicht möchte ich an den Ort reisen, den ich mit dem Menschen, den ich verloren habe, immer besucht habe”, sagt Kitz. Auch das Gegenteil sei denkbar, die Reise an ein unbekanntes, neues Ziel möglicherweise hilfreich. “Ein Ort, der noch nicht durch Erinnerungen geprägt ist, der aber Bezug zum geliebten Menschen hat – beispielsweise, weil man immer gemeinsam ans Wasser gefahren ist.” Die frühere Heimat des Verstorbenen könne ebenfalls eine Variante sein, um mit der Trauer aktiv umzugehen und eine Nähe zur vermissten Person herzustellen.
Aus Sicht der Expertin ist in jedem Fall wichtig, die eigenen Gefühle zuzulassen und auf sich selbst zu hören. Während die einen gerade jetzt Freunde und Familie sehen wollen, fühlten andere sich etwa ohne den verstorbenen Partner unwohl. Mittrauernde können wiederum anders empfinden und andere Bedürfnisse haben.
Judith Poser, Mitarbeiterin der Frankfurter Trauerseelsorge, ergänzt: “Manchen geht es, wenn es warm ist, durchaus besser, weil sie sich dann gut ablenken können.” Doch das treffe nicht auf alle zu. “Andere empfinden es geradezu als Zumutung, dass drumherum alles blüht und duftet und die Sonne scheint, obwohl sie tieftraurig sind.”
Das “Richtige” könne auch sein, zu Hause zu bleiben und die Trauer zuzulassen, sagt Schroeter-Rupieper. “Dann rate ich, sich etwas zu gönnen: gute Bücher, ein Eis essen gehen, lange Spaziergänge machen. Das Leben macht es einem in dieser Phase ohnehin schwer, also ist es besonders wichtig, auf sich zu achten.”
Und die Eltern, die den Urlaub ohne die verstorbene Tochter so unterschiedlich erlebt haben? Ihnen empfiehlt die Expertin, eine zweite Reise oder einen Ausflug zu unternehmen, die dann der trauernden Großmutter gut tut. Ebenso könne man sich in einer solchen Situation Alternativen offenhalten – wie eine frühere Abreise. “Den Druck, dass der Urlaub besonders schön sein muss, sollte man sich nicht zusätzlich machen. Es geht vielmehr um das, was ich als Betroffene jetzt brauche.”