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Missbrauchs-Betroffener: Kirche muss Opfer stärker einbeziehen

Der Missbrauchsbetroffene Matthias Schwarz hat einen deutlich empathischeren Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche angemahnt. „Die Betroffenen müssen offen in die Aufarbeitung einbezogen werden und zwar ganz individuell, wie sie sich das selbst wünschen“, sagte Schwarz am Dienstagabend in Braunschweig in einer Diskussionsrunde zu den Ergebnissen der ForuM-Studie. Der hessische Ruhestandspfarrer ist Mitglied der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Schwarz diskutierte mit dem braunschweigischen Landesbischof Christoph Meyns, dem Leiter des Forschungsverbundes ForuM, Martin Wazlawik aus Hannover, und dem Berliner Theologieprofessor Notger Slenczka. Einige wollten sich direkt an der kirchlichen Aufarbeitung beteiligen, anderen zögen es vor, ein klares Gegenüber zu sein, sagte Schwarz. Beide Positionen müsse die Kirche aushalten und annehmen. Wazlawik ergänzte, die Kirche müsse auch akzeptieren, dass einige gar keinen Kontakt mehr zur Kirche wünschten. Er attestierte der evangelischen Kirche einen „Harmoniezwang“, der in einem „Millieu der Geschwisterlichkeit“ Missbrauchstaten und deren mangelhafte Aufarbeitung teilweise begünstigt habe.

Slenczka betonte, der Umgang mit Missbrauchsfällen sei bislang unangemessen gewesen. „Die Perspektive der Betroffenen muss nicht nur berücksichtigt werden, sie muss ins Zentrum.“ Ein kirchlicherseits vielfach zu beobachtendes Bemühen um rasche Versöhnung sei in diesem Zusammenhang problematisch. Dies erzeuge bei den Betroffenen einen unheimlichen Druck, erläuterte Slenczka. Im schlimmsten Fall würden die Opfer als „Hindernisse auf dem Weg zur Bewältigung“ wahrgenommen.

Bischof Meyns sagte, die in der Runde aufgeworfenen Fragen markierten für ihn den Beginn einer neuen Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsthema in der braunschweigischen Landeskirche. „Es ist klar geworden: Bei allem, was wir in kirchenleitender Funktion tun, müssen wir stärker die Perspektive der Betroffenen einnehmen.“ Er wolle die Aufarbeitung weiter vorantreiben. Die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch stehe daher unter anderem auf der Tagesordnung der Landessynode im November in Königslutter. Geplant sei auch ein Fachtag für Landessynodale im Februar.

Seit der Veröffentlichung der bundesweiten ForuM-Studie im Januar hatten sich in der braunschweigischen Landeskirche zwölf Betroffene neu gemeldet. Dabei ging es überwiegend um Vorfälle zwischen 1949 und 1998. Zwei Meldungen betreffen Vorwürfe von Distanzverletzungen, die zu arbeits- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen geführt haben, wie Landeskirchensprecher Michael Strauß erläuterte. Aktuelle Fälle seien nicht bekannt. Sie würden konsequent Polizei und Staatsanwaltschaft übergeben.