Die Hildesheimer Migrationsforscherin Danielle Kasparick hält die aktuelle Krisenrhetorik in der Migrationsdebatte für gefährlich. Sie mache Geflüchtete verantwortlich für politische Versäumnisse der vergangenen Jahre, sagte Kasparick in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Die Sprache vieler Politiker ist extrem ausgrenzend und pauschalisierend, sie schürt Sorgen und Ängste.“
Aussagen von AfD- oder Unions-Politikern suggerierten, dass für Anschläge einzelner psychisch kranker Straftäter wie in Magdeburg oder Aschaffenburg pauschal alle Schutzsuchenden verantwortlich seien. Es sei aber Aufgabe des Staates, die Bürger vor der Bedrohung solcher Einzeltäter zu schützen und für Sicherheit zu sorgen, sagte die Leiterin der Forschungs- und Transferstelle Migrationspolitik an der Universität Hildesheim.
Die Wissenschaft weise seit Jahrzehnten auf die Engpässe bei der Versorgung von psychisch kranken Menschen, auf dem Wohnungsmarkt, in Kitas und Schulen hin. Die Auswirkungen des demografischen Wandels seien ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt, sagte Kasparick. Sie verstehe, dass manche Menschen sich vor Konkurrenz etwa auf dem Wohnungsmarkt fürchteten: „Es aber wäre wichtig, dass Politik anerkennt, dass sie selbst einiges verschlafen hat, anstatt realitätsfern alle Geflüchteten unter Generalverdacht zu stellen und zu Sündenböcken zu machen.“
Zwar verschärft die Zuwanderung nach den Worten der Politikwissenschaftlerin die Probleme. Zugleich könne sie aber Teil der Lösung sein. Ohne Menschen mit Migrationshintergrund wäre der Arbeitskräftemangel noch eklatanter. Deshalb sei es wichtig, die Anerkennung von Qualifikationen zu erleichtern, den Deutschspracherwerb zu fördern und auch Asylsuchenden den Arbeitsmarkt von Beginn an zu öffnen.
Kasparick warnt aber davor, Migration nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit zu betrachten und das Asylrecht infrage zu stellen. Das Asylrecht sei den Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur ab 1933 geschuldet, als Menschen ohne Anrecht auf Schutz ihrem Schicksal überlassen wurden. „Wir wissen, wie das geendet ist. Diese Errungenschaft eines Rechts auf Schutz sollten wir nicht aufgeben.“
Die Zivilgesellschaft habe mit ihrer Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten viel geschafft in den Jahren nach 2015 und nach Ausbruch des Ukrainekrieges. „Aber irgendwann ist ehrenamtliches Engagement erschöpft, dann muss der Staat übernehmen.“ Die Politik müsse eine Idee formulieren, wie sie eine vielfältige Gesellschaft gestalten wolle. „Dabei sollte sie Investitionen tätigen, auch wenn sie sich nicht sofort auszahlen. Sie sollte sich nicht von kurzfristigen Krisen treiben lassen und nicht auf die jeweils nächste Wahl schielen.“