Ein paar SUVs stehen unauffällig auf dem Parkplatz eines Fastfood-Restaurants in der Nähe von Washington. Erst wenn die Türen aufgehen, wird sichtbar, wer darin sitzt: bewaffnete Männer in Kampfanzügen und schusssicheren Westen, manche mit Masken. Sie sind von der US-Einwanderungsbehörde „Immigration and Customs Enforcement“ (ICE). Sie fahren durch die Straßen von Hyattsville, Riverdale Park und anderen Vororten der US-amerikanischen Hauptstadt, in denen sich seit vielen Jahren Migranten aus Mexiko und Mittelamerika ein neues Leben aufgebaut haben.
Doch sicher fühlen kann sich hier niemand mehr. Wenn die ICE-Beamten jemanden festnehmen, legen sie ihm Handschellen an, setzen ihn in den SUV und bringen ihn mutmaßlich in eins der Abschiebegefängnisse.
Nach Angaben des US-Heimatschutzministeriums sind seit Donald Trumps zweiten Amtsantritt im Januar 2025 mehr als eine halbe Million Menschen abgeschoben worden. 1,6 Millionen Menschen seien „freiwillig“ ausgereist. Das sei „erst der Anfang“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Die ICE-Behörde, die dem Heimatschutzministerium unterstellt ist, sucht derzeit mit einer Kampagne nach neuen Mitarbeitenden. Es lockt ein Bonus in Höhe von bis zu 50.000 Dollar.
Wer in der Region Washington von der ICE festgesetzt wird, wird häufig in das 250 Kilometer entfernte Abschiebegefängnis Farmville im Bundesstaat Virginia gebracht, eine Einrichtung eines privaten Gefängnisunternehmens für mehr als 700 Männer. Nach Angaben des Dateninstituts Transactional Records Access Clearinghouse an der Syracuse-Universität in New York waren Stand Mitte November rund 65.000 Migranten in ICE-Gefängnissen inhaftiert, gut drei Viertel haben demnach keine Vorstrafen. Angehörige können auf der Internetseite der Behörde herausfinden, wo sich Festgenommene befinden.
Auf der Fundraising-Internetseite GoFundMe.com werden Spendenaufrufe gepostet. Einer bittet um Geld für die Familie eines jungen Mannes namens Jackson, der im Oktober in einem Laden für Autoteile festgenommen worden sei. Jacksons Ehefrau, eine US-Bürgerin, und die beiden Kinder, fünf Jahre und 16 Monate alt, seien nun ohne Einkommen. Die Ehefrau könne aus gesundheitlichen Gründen nicht außerhalb des Hauses arbeiten.
In einem Aufruf bittet eine Tochter um Spenden für ihren Vater, einen Bolivianer, der auf dem Weg zu Reparaturarbeiten in einer Schule in Washington gestoppt worden sei. Er sei in ein Abschiebegefängnis gebracht und unter Druck gesetzt worden, Dokumente zu unterzeichnen. Die Familie rechne mit Anwaltskosten von 10.000 Dollar.
Etwa 52 Millionen der 343 Millionen Menschen in den USA sind Immigranten. Etwa die Hälfte davon ist laut Berechnung des Pew Research Center US-Staatsbürger. Die andere Hälfte hat eine zeitweilige oder permanente Aufenthaltsgenehmigung oder ist gänzlich ohne Aufenthaltsgenehmigung. Nach Schätzung des Think-Tanks Migration Policy Institute haben rund zwölf Millionen Menschen in den USA keine Papiere.
Die Tageszeitung „New York Times“ und die Stiftung Kaiser Family Foundation haben jüngst eine Untersuchung über das Leben von Einwanderern veröffentlicht. 22 Prozent der Immigranten hätten erklärt, sie kennen jemanden, der festgenommen oder abgeschoben worden ist. 41 Prozent machten sich Sorgen, sie selbst oder Angehörige könnten festgenommen oder abgeschoben werden.
20 Prozent der befragten Migranten gaben an, sie seien schon einmal der Polizei aus dem Weg gegangen, vorsichtig gewesen bei der Jobsuche und beim Reisen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Bei der Untersuchung wurden 1.805 Migranten befragt. Für die Befragung hätten mehr als 200.000 Adressen und Telefonnummern kontaktiert werden müssen, um gesprächsbereite Einwanderer zu finden.
Die Abschiebungen beeinflussen auch das religiöse Leben. Mehr als ein Drittel der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche sind lateinamerikanischer Abstammung. Die katholischen Bischöfe hatten sich bei ihrer Jahresversammlung scharf gegen Trumps Abschiebungen und das „Klima der Angst“ gestellt. Jetzt haben katholische Geistliche in Chicago die ICE verklagt, weil die Behörde die Austeilung der Heiligen Kommunion an Inhaftierte untersagt.