Der Kanzler sieht nicht nur große politische und ökonomische Veränderungen. Alle Lebensbereiche der Gesellschaft selbst wandelten sich – durch die KI-Technologie. Europa müsse dabei “souveräner werden”.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sieht die Demokratie massiv unter Druck und zugleich die Gesellschaft vor tiefgreifenden Veränderungen durch Künstliche Intelligenz (KI). “Wir sind Zeitzeugen geradezu tektonischer Verschiebungen der politischen und ökonomischen Machtzentren auf der Welt”, sagte er am Dienstag in Stuttgart vor Journalisten. Begleitet werde diese Entwicklung von einer “abnehmenden Bereitschaft, die Regeln unseres Völkerrechts noch zu akzeptieren”.
“Wir sind nicht nur von außen unter Druck, wir sind auch von innen unter Druck. Unsere Demokratie steht unter Druck”, so der Kanzler. Es sei deshalb wichtig, aus der Mitte der Demokratie heraus die Herausforderungen anzugehen.
Es gelte, Innovations- und Wachstumspotenziale in Deutschland zu nutzen. Europa müsse “souveräner werden” – bei Rohstoffen und Energieerzeugung, aber auch beim Schutz von Cloud-Daten oder bei der Anwendung von KI. Diese werde die Gesellschaft tiefgreifend verändern, prognostizierte der Bundeskanzler. “Das ist disruptiv, und zwar in einem Umfang, den wir uns heute noch nicht vorstellen können.”
Mit Blick auf von KI erzeugte Fotografien sagte Merz: “Es wird erheblicher Anstrengungen bedürfen, um in Zukunft zu unterscheiden: Was sind tatsächlich gemachte Aufnahmen und was sind KI-generierte künstliche Produkte?” Es gehe auch um “Fragen des geistigen Eigentums”, die beantwortet werden müssten. “Was in der analogen Welt richtig war – auch im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums -, das kann in der digitalen Welt nicht plötzlich alles falsch sein”, betonte der Bundeskanzler.
“Wir stehen da vor gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen”, sagte Merz. KI sei eine Technologie, die “tief in alle Lebensbereiche” reiche. Deshalb müsse man “ihre Möglichkeiten nutzen, ohne die Risiken zu unterschätzen, die damit einhergehen – und die sind vielfältig”, so Merz.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, jede Technologie sei ambivalent und könne zum Guten wie zum Schlechten genutzt werden. Man dürfe aber nicht nur Anwender einer von anderen entwickelten neuen Technik sein, sondern müsse mit an der Spitze des Fortschritts stehen. In der jetzigen “neuen Welt” habe man nur dann eine Chance, wenn man die Technologieführerschaft in Schlüsseltechnologien erwerbe. Wichtig sei “europäische Souveränität, damit diese Technologie nach unseren Wertvorstellungen, die wir in Europa haben, angewendet wird”, betonte auch Kretschmann.
Merz absolvierte am Dienstag seinen Antrittsbesuch in Baden-Württemberg. Im Amtssitz des Ministerpräsidenten, der Villa Reitzenstein in Stuttgart, nahm Merz an einer Sitzung des Landeskabinetts teil. Am Nachmittag waren Merz und Kretschmann beim Spatenstich für den Innovationspark Künstliche Intelligenz (IPAI Campus) in Heilbronn dabei. Merz sagte, dies sei ein Vorhaben, das nicht nur für Baden-Württemberg und Deutschland, sondern möglicherweise auch für Europa Bedeutung haben werde.
Entstehen soll in Heilbronn nach IPAI-Angaben ein internationaler Standort für mehr als 5.000 Menschen, die an der Entwicklung und Anwendung Künstlicher Intelligenz arbeiten. Auf rund 30 Hektar entstehe ein zukunftsweisendes Quartier, das Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringe.
Bereits heute beteiligen sich demnach über 80 Unternehmen und Institutionen an der IPAI-Plattform – darunter DAX-Konzerne und “innovative Mittelständler”. Ein 1,2 Kilometer langer Gebäudering soll künftig das Areal in Heilbronn umschließen – fast vergleichbar mit dem ringförmigen Gebäudekomplex des Apple Park im kalifornischen Silicon Valley, dem Hauptsitz des US-amerikanischen Technologieunternehmens Apple.