Die Zwangsumsiedlung von Palästinensern ist nach Überzeugung des deutsch-israelischen Publizisten und Nahostexperten Meron Mendel keine Lösung für den Konflikt in Gaza. Denn die Palästinenser hätten wie die Israelis eine Berechtigung, in diesen Gebieten zu leben. Beide seien sogar dazu „verdammt, nebeneinander zu leben“, sagte der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank am Freitagabend bei einer Diskussionsveranstaltung im Ulmer Stadthaus anlässlich des 22. Jahrestages der Stiftung Erinnerung Ulm.
In dieser Situation müsse der Begriff der deutschen Staatsräson, den er kritisch sehe, eine neue Bedeutung bekommen, sagte Mendel, der sich für eine israelisch-palästinensische Verständigung einsetzt. Denn eine Staatsräson dürfe sich nicht allein in einer bedingungslosen Unterstützung Israels ausdrücken, sondern in der Verantwortung, in dieser schwierigen und verfahrenen Lage Lösungen für beide Seiten zu finden.
Die Diskussion in Deutschland sei von festgefügten Positionierungen und bestimmt, sagte Mendel zum Thema „Über Israel und Palästina reden – Wie Brücken bauen in einer polarisierten Gesellschaft?“. Die Debatte um den Nahostkonflikt werde mit „Scheuklappen gesehen“, es werde erwartet, dass israelische und palästinensische Menschen „ihrem eigenen Kollektiv treu bleiben“. Deshalb gebe es keine Pluralität in den jeweiligen Communitys, eigene Meinungen würden nicht akzeptiert und der „Verstand ausgelagert in das Kollektiv“. Dazu komme noch eine von der Debatte losgelöste „moralische Überhöhung“, demnach sei die Position der anderen Seite nicht nur falsch, sondern „böse“.
Um überhaupt wieder in einen Dialog zwischen propalästinensischen und israelischen Positionen zu kommen, ist Mendel zufolge eine grundsätzliche Festlegung auf Kriterien nötig. Dazu gehöre, die reale Existenz des Staates Israels nicht infrage zu stellen. Auch der Vorwurf von propalästinensischen Gruppen und des globalen Südens, Israel sei ein kolonialistischer Staat und die Juden müssten deshalb wieder nach Europa zurückkommen, treffe nicht zu. Denn im Gegensatz zu dem klassischen Kolonialismus hätten die Juden eine lange Beziehung zu diesem Gebiet und handelten nicht aus wirtschaftlichen oder missionarischen Motiven heraus, sondern seien selbst verfolgt worden.
Allerdings hätten auch die Palästinenser das Recht auf einen eigenen Staat. Beide Seiten trügen gleichermaßen Schuld an dem lang dauernden Konflikt, sagte Mendel. Eine Überwindung der tiefen Gräben sei nur durch Begegnung statt Boykott möglich und die Bereitschaft, auch andere Positionen zu hören.
Der Ulmer Oberbürgermeister Martin Ansbacher (SPD) unterstrich in seinem Grußwort die Bedeutung der Stiftung Erinnerung, die auch die Ulmer KZ-Gedenkstätte trägt. Da es immer weniger Zeitzeugen gebe, müssten „Orte sprechen“. Die Auseinandersetzung mit NS-Zeit und Verfolgung sei „lehrreich, aufrüttelnd und unverzichtbar“. Denn wer die Geschichte leugne, werde „blind für die Gegenwart“. Das Engagement der Stiftung sei vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Spannungen auch ein Beitrag für die Demokratie, sagte die Stiftungsvorsitzende Elisabeth Zoll. (0357/15.02.2025)