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Menschenrechtlerin: China nutzt Psychiatrie als Repressionsmittel

Zwangsmedikation und Elektroschocks: Menschenrechtler haben in China Fälle von systematischer Einschüchterung dokumentiert. Betroffen sind längst nicht nur Regimegegner. Eine Expertin warnt vor den sozialen Folgen.

Psychiatrie als Repressionsmittel – in China ist dieses Instrument laut einer Menschenrechtlerin zentraler “Teil eines umfassenden Systems zur ‘Stabilitätswahrung’.” In den Kontrollapparat werde mehr investiert als in das Militär, sagte Mou Yanxi im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Mai-Ausgabe). 80 Prozent der Betroffenen seien keine politischen Aktivisten, sondern Petentinnen und Petenten, “die auf legalem Weg ihr Recht suchen, nachdem ihre Häuser abgerissen, ihr Land enteignet oder sie Opfer von Polizeigewalt wurden”.

Mou Yanxi hat für den Verein Safeguard Defenders entsprechende Fälle dokumentiert. Diese 144 Fälle zwischen 2015 und 2021 seien “nur die Spitze des Eisbergs”, betonte sie: “Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher sein.” Zwei Drittel der Betroffenen seien nicht psychiatrisch untersucht worden, und viele von ihnen hätten Zwangsmedikation (77 Prozent) oder Elektroschocks (14 Prozent) erlitten.

Die Familien der Opfer bräuchten oft Monate, um jemanden zu finden, der auf diese Art verschwunden sei. Das Vorgehen erzeuge “eine lähmende Angst unter den Menschen”, erklärte die Aktivistin, die in London lebt. “Wer damit rechnen muss, jederzeit ohne rechtliche Grundlage in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen zu werden, überlegt es sich zweimal, ob er oder sie Kritik äußert oder Beschwerden einreicht. Die Menschen üben Selbstzensur, meiden heikle Themen und passen ihr Verhalten an”.

In den Einrichtungen seien die Menschen vollständig isoliert, fügte Mou Yanxi hinzu. “Die Stigmatisierung durch eine vermeintliche psychische Erkrankung untergräbt zudem ihre Glaubwürdigkeit bei möglichen Unterstützerinnen und Unterstützern.” Tatsächlich entstünden durch Missbrauch und Zwangsmedikation überhaupt erst Erkrankungen, “die ursprünglich nur erfunden waren”.

Auch in der ehemaligen Sowjetunion und der ehemaligen DDR gab es die “politische Psychiatrie”; seit den 1950er Jahren werden politische Gegner in China als “geisteskrank” eingestuft. Inzwischen sei daraus mehr geworden als ein Mittel gegen Dissidenten. Sie sehe es jedoch als Zeichen von Schwäche, “dass die Behörden auf Kritik nur mit Repression reagieren können”, so die Expertin: “Ein System, das nicht mehr in der Lage ist, soziale Probleme zu lösen, sondern nur noch mit Verängstigung reagiert, ist bereits im Niedergang.”