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Mehr Sauerland für Deutschland?

Wo die Misthaufen qualmen, da gibts keine Palmen, heißt es in einem beliebten Rocksong über das Sauerland. Dabei hat die Region wirtschaftlich und touristisch einiges zu bieten. Auch Friedrich Merz.

Heinrich Lübke, Franz Müntefering und jetzt Friedrich Merz: Mit dem Kanzlerkandidaten und CDU-Vorsitzenden aus dem Hochsauerland erfährt die Marke Sauerland ein neues Update. Während Lübke als Bundespräsident von 1959 bis 1969 mit seiner lispelnden Sprache und peinlichen Auftritten für viel Gespött sorgte, pflegt der frühere Vizekanzler und SPD-Chef Müntefering als Mann, der “nur kurze Sätze kann”, das Image des pragmatischen, knorrigen Sauerländers.

Merz kann man die Redekunst nicht absprechen. Doch der Jurist aus dem Hochsauerland erfüllt ein anderes Klischee über den Menschenschlag seiner Heimat: Westfalen seien weithin als steif bekannt, so beschrieb die Dichterin Christine Koch zu Beginn des 20. Jahrhunderts im plattdeutschen Dialekt den Unterschied der Westfalen zu den Rheinländern. “Aber die größten Dickköppe, die hat das Sauerland.”

Bodenständig, wertkonservativ, stur, gerade heraus: 1955 als ältester Sohn eines Richters und als Enkel eines Bürgermeisters in Brilon geboren, hat Friedrich Merz die meiste Zeit seines Lebens im Hochsauerland verbracht. Dort, wo man am Ende jedes Satzes “woll” sagt, Schützenfeste das wichtigste Ereignis im Jahr sind und von wo man die halbe Republik mit Weihnachtsbäumen beliefert.

Der junge Merz ging zum Studium nach Bonn und Marburg, arbeitete später als Politiker in Bonn, Brüssel und Berlin. Früher oder später kehrte er aber ins Sauerland zurück. Mit der Familie ließ sich das Ehepaar Merz 1994 in einem Einfamilienhaus an den Hängen von Arnsberg nieder, der zentralen Stadt des Sauerlands. Merz, der nach seinem zwischenzeitlichen Abschied aus der Politik als Wirtschaftsberater Millionen verdiente, besitzt ein Kleinflugzeug, mit dem er immer wieder in die Hauptstadt pendelt.

Das Sauerland, im südlichen Westfalen zwischen Dortmund, Köln und Kassel gelegen, führt in der öffentlichen Wahrnehmung oft ein Schattendasein. Dabei hat die Region einiges vorzuweisen: In der drittstärksten Industrieregion in Deutschland finden sich viele, überwiegend mittelständische Wirtschaftsunternehmen und 140 Weltmarktführer – sogenannte “hidden champions”. Auch bei der Bierproduktion spielt das Sauerland – mit den Brauereien Veltins, Warsteiner und Krombacher – in der Ersten Liga.

Durch Borkenkäfer und Orkan Kyrill dezimierte und neu aufgeforstete Wälder, Fachwerkhäuser und Schieferdächer: Gleichzeitig ist das “Land der 1.000 Berge” die größte zusammenhängende Urlaubsregion in NRW. Das Sauerland wird wegen der vielen Gäste aus dem Nachbarland auch als “die Dolomiten der Niederlande” bezeichnet. Größere Städte fehlen, Land- und Forstwirtschaft sind neben dem Tourismus stark. Mit dem Kahlen Asten (841 Meter) und dem um zwei Meter höheren Langenberg liegen hier die höchsten Erhebungen Nordrhein-Westfalens. Dort findet sich die Quelle der Ruhr, gibt es Skilifte, Hunderte Kilometer Wanderwege und mehrere Talsperren, die das angrenzende Ruhrgebiet mit Wasser versorgen.

Der größte Teil des – früher kurkölnischen – Sauerlandes ist tiefschwarz, also katholisch geprägt. Die Region galt lange als riesiges Reservoir für Priester im Erzbistum Paderborn. “Glaube, Sitte, Heimat”: Katholische Vereine und Verbände prägen vielerorts das öffentliche Leben. Merz selber ist Mitglied einer katholischen Studentenverbindung und der Kolpingsfamilie.

Lange Zeit eine CDU-Hochburg mit Orten, wo 60 Prozent der Walberechtigten christdemokratisch wählten, ist der Vorsprung der Union inzwischen deutlich geschmolzen, auch wenn sie meist stärkste Partei blieb: Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die CDU im Hochsauerlandkreis gerade mal 33,5 Prozent, 8,2 Prozent weniger als bei der Wahl 2017. Merz selber gewann den Wahlkreis mit 40,4 Prozent.

“Mehr Sauerland für Deutschland”. Mit diesem Slogan wirbt Merz in seiner Heimatregion um Stimmen. Wenn es um Heimatliebe und Traditionsbewusstsein geht, zieht der CDU-Chef gern eine Parallele zu Bayern. Kein Wunder, dass CSU-Chef Markus Söder Ende Januar zum Wahlkampfauftakt in der Schützenhalle von Brilon zu Gast war. In der Hauptstadt sehe man auf das Ländliche herab – ganz zu Unrecht, betonte der Ministerpräsident: “In jeder Kleinstadt in Deutschland steckt mehr Verstand als im Berliner Regierungsviertel.”