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Mediziner: Auch E-Zigaretten machen nikotinabhängig

Jedes Jahr sterben rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Die Tabakindustrie propagiert deshalb einen Umstieg auf die E-Zigarette. Doch auch die sind gesundheitsschädlich, warnt Lungenfacharzt Stefan Andreas.

Stefan Andreas ist Chefarzt der Lungenfachklinik Immenhausen im hessischen Landkreis Kassel und außerdem als Experte für Tabakprävention und Gesundheitsfürsorge in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) engagiert. Dass Zehntausende Menschen jedes Jahr an den Folgen des Rauchens sterben, ist aus seiner Sicht nach wie vor der starken Einflussnahme der Tabaklobby zuzuschreiben. Andreas fordert mehr Prävention.

Frage: Herr Professor Andreas, die Tabakkonzerne wollen eine “rauchfreie Welt”. Das müsste Sie als Lungenfacharzt doch freuen?

Antwort: Die Aussage von der “rauchfreien Welt” wurde von der Tabakindustrie und ihren Lobbyisten geprägt. “Vapen” – das klingt harmlos. Aber erstens ist E-Zigarettenrauch auch Rauch, und zweitens enthalten E-Zigaretten ebenfalls krebserregende und andere gesundheitsschädliche Substanzen.

Frage: Es gibt Studien, die scheinen das Gegenteil zu belegen. Was also stimmt?

Antwort: Eine Vielzahl von hochrangig publizierten Übersichtsarbeiten kommt zu dem Schluss, dass das Rauchen von E-Zigaretten gesundheitsschädlich ist. Es gibt demgegenüber Publikationen, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Rauchen von Zigaretten nicht gefährlich sei. Das Problem: Viele dieser Studien sind von den Tabakkonzernen finanziert, und das viel größere Problem ist, dass selbst für Experten oft nur schwer zu erkennen ist, wer die Auftraggeber sind und wie die Studie designt wurde, wer also befragt wurde und welche Fragen wie gestellt wurden. Das beeinflusst mithin stark das Ergebnis einer Untersuchung.

Frage: Die Tabakindustrie nutzt das Wort “Harm Reduction”, Schadensbegrenzung, um zu propagieren, dass ein Umstieg von der Zigarette auf die E-Zigarette sinnvoll sein könne. Auch ein Ausstieg über die E-Zigarette sei so möglich. Ist das so?

Antwort: Die These der Tabakindustrie, E-Zigaretten seien zu 95 Prozent weniger gefährlich, ist mittlerweile widerlegt. Das Rauchen von E-Zigaretten kann die Lungenkrankheit COPD auslösen, das Herz-Kreislauf-System wird geschädigt, und es gibt erste Studien, die nachweisen, dass auch E-Zigaretten krebserregend sind. Was E-Zigaretten darüber hinaus besonders gefährlich macht, ist ihr hohes Nikotinabhängigkeitspotenzial.

Es gibt eine aktuelle Studie, die zeigt, dass das Nikotin in E-Zigaretten fast noch schneller im Gehirn anflutet als bei normalen Zigaretten. Das ist eine wirkliche Gefahr, denn dadurch erhöht sich die Suchtgefahr. Dass E-Zigaretten also gesünder seien oder eine Strategie zur Rauchentwöhnung, ist Quatsch.

Frage: Jedes Jahr sterben rund 127.000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Rauchens. Müsste hier nicht mehr passieren, um das zu verhindern?

Antwort: Auf alle Fälle. Wer in andere Länder blickt, weiß auch, dass mehr Prävention funktioniert, die Zahl der Raucher sinkt. Dass in Deutschland Zigaretten noch immer vergleichsweise günstig sind und für Prävention Geld und Aufmerksamkeit fehlen, hat sehr viel mit dem Einfluss der Tabaklobby auf politische Entscheidungsträger zu tun. Dies ist gut belegt durch den Tabaklobby-Index, den das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) alle zwei Jahre herausgibt. So werden wichtige Maßnahmen verhindert.

Frage: Einige medizinische Fachgesellschaften haben sich kürzlich einen Kodex zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie gegeben. Dass sich ausgerechnet Ärzte von dieser Industrie vereinnahmen lassen, scheint doch eher unwahrscheinlich. Warum ist der Kodex so wichtig?

Antwort: Die Tabakindustrie nimmt seit Jahrzehnten Einfluss auf die Wissenschaft, und die Bemühungen, die Wissenschaft zu schützen, sind nach wie vor unzureichend. Deshalb ist es wichtig, dass die medizinischen Fachgesellschaften Stellung beziehen und das Thema damit auch in die Öffentlichkeit rücken. Die Industrie macht das geschickt, sie sagt nicht: “Wir sind die Tabakindustrie”. Die sagen: “Wir wollen, dass die Menschen mit dem Rauchen aufhören und bieten zur Entwöhnung ein tolles Produkt an, nämlich die E-Zigarette oder Nikotinpouches, die im Übrigen in Deutschland – noch – verboten sind. Wer sich nicht so gut auskennt, der glaubt das. Auch einzelne Ärztinnen und Ärzte glauben das.