Wenn am Sonntag, 21. Januar, in der Friedenskirche in Bielefeld-Senne um 10 Uhr die Kirchenglocken läuten, dürften viele Menschen mit Wehmut, aber auch tiefer Dankbarkeit Anteil nehmen, und das weit über Westfalen hinaus: Mit einem Gottesdienst und anschließenden offenen Gospelsingen wird ein Kirchenmusiker in den Ruhestand verabschiedet, der sich wie kaum ein zweiter um die Aussöhnung von Klassik und Popularmusik verdient gemacht hat – Matthias Nagel.
Der 66-Jährige, der frisch und jugendlich wirkt, hat in den vergangenen drei Jahren den Pop-Bereich des Kirchenkreises Gütersloh aufgebaut. „Das war eine Arbeit, in der ich mich wieder stärker um das Geschehen vor Ort konzentrieren konnte“, sagt Nagel.
Landesposaunenwart, Dozent, Popkantor
Zuvor war der Musiker vor allem bei Landeskirchen tätig. Nach dem A-Examen arbeitete er als Kirchenmusiker in Düsseldorf, später als Dozent für Orgelimprovisation an der Folkwang-Hochschule Essen. Ab 2003 war Nagel als Dozent in der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen tätig. 2009 wurde er zum Landesposaunenwart in der Evangelischen Kirche im Rheinland berufen. 2011 wurde Nagel Dozent für Popularmusik an der Hochschule für Kirchenmusik Herford/Witten und Beauftragter für Popularmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Dann, zum Ende von 40 Jahren beruflicher Tätigkeit, wollte Matthias Nagel noch einmal an die Basis. Also Kirchenkreis Gütersloh – und auch hier konnte er sein Herzensanliegen weitergeben: Klassische Kirchenmusik und Popularmusik müssen keine Gegensätze sein, auch wenn dieses Denken traditionell tief verankert ist. „Beide Formen sind wunderbarer Ausdruck von Glaube und Musik, sie können sich sinnvoll und auf Augenhöhe ergänzen“, so Nagel.
Dabei konnte der Musiker, der meisterhaft Orgel und Klavier beherrscht, daneben auch Flügelhorn und Euphonion (tiefes Blechblas-Instrument), Schlagzeug und E-Bass spielt, von Anfang an auf eigene Erfahrung zurückgreifen. Schon als 14-Jähriger sang und spielte er in der Jugendgruppe seiner Heimatstadt im ostwestfälischen Löhne neue geistliche Lieder. Parallel dazu sang er in der Löhner Kantorei die klassischen Werke und erhielt Orgelunterricht. „Ich liebe beides“, so Matthias Nagel. „Mir war nie klar, warum das eine das andere ausschließen sollte.“
Popularmusik fand ihren Weg trotz Widerstände
Der künftige Ruheständler sieht es als große Freude seiner 40 Jahre Dienst, dass er erleben und mitgestalten durfte, wie die Popularmusik gegen viele Widerstände ihren Weg in die Kirchenmusik gesucht und gefunden hat. „Als wir den ersten C-Popmusik-Kurs in Rheinland/Westfalen starteten, war das ein Höhepunkt meines Berufslebens.“ Ein weiterer? „Als ich mein klassisches Handwerk als Dirigent bei der Uraufführung des Pop-Oratoriums ,Die 10 Gebote’ vor fast 10 00 Menschen in der Dortmunder Westfalenhalle ausüben konnte.“