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Mängel bei Rettungsdienst – Stiftung legt Verfassungsbeschwerde ein

Wer den Rettungsdienst unter 112 anruft, muss mit unterschiedlichen Reaktionszeiten rechnen. Experten wollen das nicht länger hinnehmen. Der Staat erfülle seine Pflicht nicht, kritisieren sie. Und gehen nach Karlsruhe.

Es geht um Menschenleben: Die Rettungsdienste und die Notfallversorgung in Deutschland weisen aus Sicht von Experten erhebliche Qualitätsmängel auf. Deshalb hat die Björn Steiger Stiftung, die sich seit Jahrzehnten für eine Verbesserung des Rettungswesens einsetzt, am Donnerstag in Berlin Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung und die Bundesländer in Karlsruhe erhoben. Die Klage gegen die Länder richtet sich stellvertretend gegen das Land Baden-Württemberg.

“Die Menschen in Deutschland haben ein Grundrecht auf ein flächendeckendes, einheitliches und qualitativ hochwertiges Rettungsdienst-System”, sagte Stiftungs-Präsident Pierre-Enric Steiger. Er forderte eine grundlegende technische und rechtliche Erneuerung des Rettungsdienstes und beklagte politischen Stillstand: Deutschland sei im Rettungsdienst Entwicklungsland. Täglich stürben Menschen, obwohl ihr Tod vermeidbar gewesen wäre. Die Verfassungsbeschwerde sei ein Notruf für ein leistungsfähiges und gerechtes Rettungswesen.

Im vergangenen Juli hatte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio in einem Gutachten für die Stiftung festgestellt, dass Bund und Länder beim Rettungsdienst ihrer Schutzpflicht nicht ausreichend nachkämen. Zwar funktioniere das Rettungssystem in vielen Regionen, aber es gebe erhebliche qualitative Unterschiede in der Fläche. Das zeige sich vor allem bei der Länge der Hilfsfristen, also dem Zeitraum bis zur Ankunft der Rettungskräfte vor Ort.

Der Staat habe aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Schutzpflicht, erläutere di Fabio. Diese bestehe vor allem, da Bund und Länder das Rettungssystem selbst entwickelt hätten und die hohen Kosten von zuletzt mehr als 12 Milliarden Euro im Kern durch die gesetzlichen Krankenversicherungen finanzierten. Zugleich liege die Zuständigkeit für den Rettungsdienst bei den Ländern.

Der frühere Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte, in Deutschland hänge es von der Postleitzahl ab, wie schnell man gerettet werde. Es gebe 16 unterschiedliche Rettungsgesetze. Die Ausstattung der Leitstellen und Rettungswagen sei regional sehr unterschiedlich; es gebe kaum Digitalisierung. Die verpflichtenden Einsatzfristen seien von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte in den vergangenen Monaten eine Reform der Notfallversorgung und damit auch der Rettungsdienste in Angriff genommen. Er wollte bundesweit einheitliche Mindeststandards für die Rettungsdienste einführen. Das ist allerdings kompliziert, weil der Bund nur den rechtlichen Rahmen vorgeben kann und die Länder zuständig sind. Das Projekt wurde allerdings wegen des Endes der Ampel-Koalition nicht abgeschlossen.