Bielefeld/Frankfurt a.M. (epd). Die Leser der "Bild"-Zeitung staunten nicht schlecht, als im Jahr 1961 wöchentlich Anzeigen mit dem Spruch "Jeder hat ein volles Konto an Liebe" erschienen. Ein Jahr lang stellte der Zeitungsverlag kostenlos Platz zur Verfügung, wo Kirchenvertreter und Werbefachleute zur Nächstenliebe und zum Nachdenken über Alltagsfragen aufriefen. Ob Kirche auch auf Methoden der Werbung setzten sollte, war lange Zeit umstritten. Vor 50 Jahren, im November 1970, wurde ein Verbund gegründet, der die Werbung für kirchliche Anliegen auf eine professionelle Grundlage stellte.
Eine frühe Initiative, der Verein "Vocamus", hatte sich bereits zum Ziel gesetzt, kirchliche Stellen zu beraten und Werbematerial zu gestalten. Eine Finanzierung lehnte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jedoch zunächst wegen "fehlender gesamtkirchlicher Bedeutung" ab. Daraufhin schlossen sich 1969 Öffentlichkeitsarbeiter aus Landeskirchen wie Bayern, Hamburg, Hannover, Westfalen und Württemberg in eigener Regie zusammen. "Plakatmission, Gestaltung von Schaukästen und Gemeindebriefarbeit waren damals zentrale Themen", sagt Herbert Kirchmeyer vom Amt für Gemeindedienst in Nürnberg, langjähriges Mitglied der "Kooperation Werbedienst".
Ein Jahr später, im November 1970 gründete sich daraus der "Evangelische Arbeitskreis Werbung und Public Relations". Der Zusammenschluss brachte über mehrere Jahrzehnte die Zeitschrift "Evangelischer Werbedienst" mit Arbeitshilfen, Produktvorstellungen sowie mit fachlicher Beratung heraus. Ein Bestellkatalog mit Werbeartikeln kam hinzu. Der Arbeitskreis war 1974 auch eine Triebfeder für die Gründung des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP) mit Sitz in Frankfurt, das seither die kirchlichen Akteure in den verschiedenen Medien vernetzt. "Dass das GEP auch einen Fachbereich Werbung und Public Relations erhielt, war umstritten", berichtet Holger Tremel, der viele Jahre diesen Bereich im Gemeinschaftswerk leitete. Manche Theologen vertraten die Ansicht, Werbung komme nicht infrage – die Kirche dürfe nicht sich selbst in den Mittelpunkt rücken. Ab den 1980er-Jahren setzte jedoch ein Sinneswandel ein: "Schwindende Beteiligung am kirchlichen Leben zeigte, dass man Kirche in der Öffentlichkeit einladend präsentieren muss", erläutert Tremel.
Mit Fachdiskussionen, Ausbildungs- und Studiengängen in Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising sowie Modellprojekten förderte das GEP die Professionalisierung und Anerkennung der PR in der Kirche. Eigene Pressestellen und Öffentlichkeitsbeauftragte sind heute von der EKD bis in die Kirchenkreise hinein gang und gäbe.
Auch die PR-Branche selbst wandelte sich: Öffentlichkeitsarbeit wurde nicht mehr als Marketing-Instrument verstanden, sondern sollte einen Dialog mit ihren Zielgruppen fördern. "Dieser Ansatz traf sich mit dem Anspruch der Kirche, durch Kommunikation Gemeinschaft zu ermöglichen", sagt Tremel. In den 1980er-Jahren entstanden erste Öffentlichkeitsinitiativen und Kampagnen wie "Brücken bauen" oder "neu anfangen". Auch die evangelische Fastenaktion "Sieben Wochen Ohne" mit inzwischen Millionen Teilnehmern hat ihren Ursprung in dieser Zeit.
Großes Aufsehen erregte 1993 die Kampagne "misch dich ein" des Stadtkirchenverbandes Köln – war sie doch die erste mit einem Millionen-Etat. Mit Aktionszeitungen, Plakaten, Anzeigen und Verkehrsmittelwerbung trat die Kirche in Dialog mit den Bürgern. Auch die EKD entdeckte das Instrument der Kampagne für sich: Gemeinsam mit den Landeskirchen warb sie 1999 und 2007 für den Sonntag als Tag der Ruhe und der Besinnung. Im Vorlauf zum 500. Reformationsjubiläum fanden Themenjahre wie etwa das "Jahr der Taufe" große Resonanz.
Die Fachleute der "Kooperation Werbedienst" haben in Zusammenarbeit mit dem GEP neben der Versorgung der Gemeinden mit Werbemitteln auch diese überregionalen Aktionen kreativ begleitet: Zum "Jahr der Taufe" etwa brachte die westfälische Kirche einen Waschhandschuh mit der Aufschrift "gottesgeschenk" heraus. Seit 2005 sind die Produkte auch über einen Online-Shop bestellbar.
"Der Werbedienst war und ist eine der Säulen evangelischer Öffentlichkeits-arbeit", sagt der Theologe Michael Stahl, ehemaliger Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche. Neue Produktideen wurden regelmäßig auf den Prüfstand gestellt. Stolz ist Stahl auf die von ihm auf den Weg gebrachten "Lutherbonbons", mit denen Gemeinden seit über zehn Jahren für den Reformationstag werben.
Kurz vor ihrem 50. Geburtstag hat sich die "Kooperation Werbedienst" als Zusammenschluss kirchlicher Werbestellen aufgelöst. Die bisherige Struktur mit mehreren Herausgebern und Produzenten sei zu aufwendig gewesen, erklärt Stahl. Der Werbedienst wird inzwischen in Regie des Evangelischen Presseverbandes Westfalen-Lippe mit Sitz in Bielefeld weitergeführt.