Analphabeten in Deutschland? Hier können doch alle lesen und schreiben, es gibt doch eine Schulpflicht! Doch leider ist dies nicht so: Über zwei Millionen Deutsche können nur einzelne Wörter lesen, verstehen und schreiben – nicht aber ganze Sätze. Rund 300 000 Menschen hierzulande können nicht mal ihren Namen richtig schreiben.
Bildung ist Schlüssel für vieles. Zeitungen lesen, Bücher lesen, die den Zugang zu vielen Themen eröffnen und den Zugang zur Weltliteratur, aber auch ganz einfach: Formulare lesen und ausfüllen können. Wer bei uns einen „normalen“ Bildungsweg gegangen ist, kann sich nur schwer vorstellen, was es heißt, weder lesen noch schreiben zu können.
Im Hochland von West-Papua, das zu Indonesien gehört, ist Analphabetismus Alltag. In manchen Regionen liegt die Rate bei über 90 Prozent. Dass dies so ist, hat unterschiedliche Gründe. Da ist einmal die geographische Lage. Die meisten Dörfer sind nur zu Fuß zu erreichen, dabei sind tagelange Fußmärsche durch unwegsames Gelände die Regel. Wenn es dort überhaupt Schulgebäude gibt, stehen sie oft leer, weil es keine Lehrkräfte gibt. Die Regierung hat zwar Planstellen geschaffen, die auch besetzt und bezahlt sind, aber die Stelleninhaber tauchen vor Ort einfach nicht auf. Sie wollen unter solchen schwierigen Bedingungen nicht leben. Andererseits fließt viel Regierungsgeld nach Papua, das aber oft im Dickicht von aufgeblähter Verwaltung und Korruption hängen bleibt.
Experten, die die Situation im Hochland West-Papuas untersucht haben, sprechen von einer Bildungskatastrophe, von einem Bildungsvakuum, das über eine Million Menschen betrifft. Dies hat Folgen für alle Lebensbereiche, zum Beispiel für die Gesundheitssituation. Weil es an Aufklärung und Prävention fehlt, sterben 115 von 1000 Kindern vor Erreichen des fünften Lebensjahres, haben die Neuinfektionen mit dem HIV-Virus das 15-fache des indonesischen Durchschnitts erreicht.
Der politische Kontext: Die indonesische Regierung hat in den 1960er Jahren dieses Land mit Gewalt und Betrug an sich gerissen. Seitdem leiden die indigenen Papuas unter Einschüchterung und Gewalt der allgegenwärtigen Sicherheitskräfte. Von der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wie Gold, Kupfer, Tropenholz und Gas bleibt für die Bevölkerung wenig übrig.
Um politische und wirtschaftliche Zusammenhänge erfassen, sie beurteilen und kritisieren zu können, ist Bildung unerlässlich. Doch sie wird den meisten Menschen im Hochland West-Papuas verweigert. Dabei ist das Recht auf Bildung ein Menschenrecht. Die Internationale Menschenrechtscharta sagt sogar: „Die Bildung muss (…) auf die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gerichtet sein.“ Dies wäre im Kontext West-Papuas bitter nötig.
Die Partnerschaft zwischen dem Evangelischen Kirchenkreis Schwelm und der Evangelischen Kirche im Land Papua besteht seit über 25 Jahren. Sie lebt von den gegenseitigen Besuchen, vom Wissen um die jeweiligen Lebensbedingungen, vom Gebet miteinander und füreinander, und sie lebt von der Solidarität. Die Schwelmer Aktivisten setzen sich für Menschenrechte in Papua ein und betreiben politische Lobbyarbeit, in enger Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsreferat der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) und im Rahmen des West-Papua-Netzwerkes. Das Thema „Palmöl“ verbindet uns direkt miteinander. Dort werden für den Anbau der Ölpalmen Regenwälder abgeholzt, hier finden wir dieses Öl in vielen Produkten – und können uns bemühen, auf diese zu verzichten.
Zum ersten Mal seit Beginn der Partnerschaft wurde Anfang des Jahres in Papua eine Evaluation durchgeführt. Im Zentrum der Gespräche standen die Bildungsprogramme, mit denen der Kirchenkreis Schwelm die Menschen im Hochland von Papua unterstützt.
Mit drei Programmen wird versucht, auf die spezifischen Probleme vor Ort einzugehen. Mit der Bereitstellung von Stipendien werden Studierende unterstützt. Hunderte konnten im Laufe der Jahre dadurch ihre Ausbildung abschließen. Für den Unterricht in entlegenen Gebieten wurden Hilfslehrer ausgebildet, die im Grundschulbereich tätig sind. In über 30 Dörfern haben Tutoren Alphabetisierungskurse durchgeführt. Dazu waren Fibeln in der Yali-Sprache entwickelt worden.
Die Evaluation hat ergeben, dass diese Programme sehr erfolgreich sind. Sie sollen fortgesetzt und wenn möglich ausgeweitet werden.
Während der Tage der Evaluation gab es aktuelle Berichte über gewaltsame Auseinandersetzungen in einer der Partnerregionen und über die angespannte Sicherheitslage im Bereich der Freeport-Mine, wo in großem Maßstab Gold und Kupfer abgebaut wird – unter Bewachung durch das indonesische Militär.
Wie gut, dass es diese Geschwisterschaft gibt mit Menschen in einem Teil der Welt, der oft vergessen wird. So werden im Kirchenkreis Schwelm und im Hochland von Papua die Leitlinien für Partnerschaften der VEM mit Leben gefüllt. Darin heißt es: „Partnerschaft ist eine Möglichkeit der Buße und der Versöhnung im Kontext historischer Ungerechtigkeit und aktueller Unterdrückung. Daher setzen wir uns aktiv für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ein. Die Partner unterstützen sich gegenseitig durch Gebet und dadurch, dass sie füreinander eintreten. Dazu zählen auch politische und soziale Bewusstseinsbildung, Solidarität durch Aktionen und Lobbyarbeit in Kooperation mit dem jeweiligen Partner und der VEM“.
Dietrich Weinbrenner, Regionalpfarrer im Amt für MÖWe, hat im Januar als Berater an der Evaluation in Papua teilgenommen.