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Lebenszeichen aus der Ferne

1869 gab Österreich-Ungarn die Correspondenzkarte heraus, anfangs noch ohne Bilder. Die Postkarte wird in diesem Jahr 150 Jahre alt und behauptet sich auch in der digitalen Welt

Hunderte Postkarten erhält UK, wenn es um die Lösung des monatlichen Preisrätsels geht. Leserinnen und Leser schicken gerne Ansichtskarten aus ihrer Gemeinde – oft mit Kirchen. Sie sind ein beliebtes Motiv. Häufig gibt es neben dem Lösungswort noch ein paar Extra-Grüße. Das freut die Empfänger.
Um Grüße geht es auch Sabine Rieker. An manchen Tagen sind es bis zu 40 Postkarten, die sie schreibt. Die 32-jährige Stuttgarterin sitzt gerne in ihrem Stammcafé und lässt ihrem Kugelschreiber freien Lauf. „Liebe Seele“, beginnen ihre Karten meist und enden mit „Die Postkartenschreiberin“. Seit ein paar Jahren sind es nicht mehr nur Freunde und Bekannte, an die Rieker schreibt. Längst hat sich ihr Hobby herumgesprochen: Sie bekam Anfragen, ob sie nicht Karten schreiben könne. Anfangs gegen einen Cappuccino, inzwischen gegen Spende. Mittlerweile lebt sie allein vom Postkartenschreiben.

Auch nach 150 Jahren ist die Postkarte noch beliebt

Auch 150 Jahre nach ihrer Erfindung im Jahr 1869 scheint die Postkarte nichts von ihrer Faszination eingebüßt zu haben. Fast zeitgleich hatten damals Heinrich von Stephan, Oberpostrat und späterer Generalpostdirektor des Deutschen Kaiserreichs, sowie der österreichische Nationalökonom Emanuel Herrmann in ihren Ländern Vorschläge für die Erfindung einer Korrespondenzkarte gemacht. Am 1. Oktober 1869 gab Österreich-Ungarn die ersten Postkarten heraus. Die Deutsche Reichspost zog neun Monate später nach.
„Die Erfindung lag in der Luft“, sagt die Medienwissenschaftlerin Anett Holzheid vom Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, die sich in ihrer Doktorarbeit mit der Postkarte beschäftigt hat: „Sie füllte eine Lücke zwischen dem teuren Telegramm und dem aufwendigen Brief.“ Das galt geschäftlich wie auch privat. Reisende kündigten ihre Ankunft an, Kunden versicherten sich des Versands von Waren, die wegen des Siegeszugs der Eisenbahn immer weitere Reisen antraten.
Vorbehalte gegen die Postkarte hatte vor allem das Bürgertum, das seinen Statusverlust als Bildungselite befürchtete, so Holzheid. Schließlich seien Briefe mit unzähligen bürgerlichen Kodices aufgeladen gewesen: von der Papiergröße über den Abstand von Text zur Anrede bis hin zum Inhalt. Die wurden nun mit der Postkarte über Bord geworfen. Sie galt als frech und unkonventionell, auch weil ihr Inhalt niemandem verborgen blieb – anders als der Absender.
Gleichwohl stand die Postkarte im Schatten des Briefes. Das änderte sich erst langsam, als die weiße Textseite mit Bildmotiven aufgewertet wurde. Stück für Stück verschwand auf vielen Karten der Text von der Bildseite, bis er schließlich ein eigenes Feld neben dem Adressfeld zugewiesen bekam. Die Ansichtskarte war geboren.
Knapp eine Milliarde Karten – mit und ohne Bild – wurden um 1900 im Deutschen Reich versendet. Bis zu zehn Mal am Tag stellten Postboten in großen Städten die Karten zu, sagt Historiker Veit Didczuneit vom Museum für Kommunikation Berlin. Im Jubiläumsjahr sind hier, in Nürnberg und Frankfurt am Main Ausstellungen geplant.
Bis zum Ersten Weltkrieg, in dem die Feldpostkarte die Frontsoldaten seelisch mit der Heimat verband, dauerte die Hoch-Zeit der Postkarte. Dann löste das Telefon sie nach und nach als Informationsmedium ab. Was blieb, war die Ansichtskarte, die sich zwischen Urlaubs- und Geburtstagsgrüßen in Nischen einrichtete.
Inzwischen haben Messenger-Dienste Postkarten längst den Rang abgelaufen. Urlauber grüßen ihre Liebsten zu Hause per Smartphone, inklusive Foto. Trotzdem stellte die Deutsche Post nach Angaben eines Sprechers 2017 immer noch 195 Millionen Postkarten zu, der Höhepunkt liegt zur Urlaubszeit.
Je schneller die digitale Technik ist, umso stärker an Bedeutung ist heute die einzelne Postkarte aufgeladen. Sie signalisiert: Ich nehme mir besonders viel Zeit für dich.