„Wir kämpfen mit der Angst“, entgegnet Jaroslav halb zögernd, halb entschlossen auf die Frage, ob er seine künftige Arbeit nicht ziemlich gefährlich findet. Der 24-jährige Student ist einer von 35 Teilnehmenden am nunmehr zweiten Kurs im Demining Training Center nahe Mykolaiv im Süden der Ukraine. Es ist an diesem Junitag die dritte von insgesamt sieben Trainingswochen in dem Schulungscenter für Minenräumung, irgendwo zwischen Odessa und Cherson nahe der Küste des Schwarzen Meeres.
Das Schulungszentrum liegt in einer ehemaligen Ferienanlage. Auf dem Areal finden sich ein Volleyballfeld, ein Schwimmbad, ein Fußballplatz und eine kleine Bühne, dazu gepflegte Grünanlagen in Terrassenform. Doch der erste Eindruck täuscht: Im Schulungsraum hängen schematische Darstellungen und Fotos aller möglichen Minen an den Wänden: Personenminen, Panzerminen, weitere Landminen, Seeminen. Im Gelände stehen rot-weiße Pfähle mit Schildern, die vor Minen warnen.
Dänische Hilfsorganisation trainiert Freiwillige
Trainiert werden die jungen Teilnehmenden von Mitarbeitern von DCA. DanChurchAid (DCA) ist eine Hilfsorganisation aus der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Sie hat sich seit vielen Jahren auf Minenräumung in den Krisengebieten der Welt spezialisiert. Senior Field Technical Lead Christopher Fuller war schon überall, jetzt ist der Leitende technische Dienstleiter im Süden der Ukraine als Ausbilder im Einsatz.
Fuller bringt den jungen Teilnehmenden zusammen mit zwei weiteren Ausbildern bei, auf runde Strukturen im Boden oder Drähte zu achten oder sich mit Metalldetektoren durch das Gelände zu bewegen, das dabei ganz unterschiedlich bewachsen sein kann.
Gut die Hälfte der Teilnehmenden sind junge Frauen. Einer ihrer Ausbilder ist der 43-jährige Anders aus Kopenhagen, der im Jahre 2002 beim dänischen Militär mit der Minenräumung begonnen hat. Er war seither schon im Irak, in Afghanistan, in Somalia, in Mali und jetzt in der Ukraine. „80 Prozent der Arbeit beim Demining ist die Suche nach Informationen, etwa aus militärischen Quellen oder von Einheimischen“, sagt Anders.

Ein paar Kilometer entfernt wartet auf einige der früheren Kursteilnehmer die erste Bewährungsprobe. Ein Feld mit einer Fläche von einer Million Quadratmetern soll auf nicht explodierte Geschosse und andere Munition überprüft werden. An diesem ersten Tag Mitte Juni wird das Terrain abgesteckt, einen Kilometer lang, einen Kilometer breit.
Blindgänger stecken in vielen Feldern
Auf dem Nachbarfeld wachsen Sonnenblumen, inzwischen etwa kniehoch. Dort sind in den ersten Kriegsmonaten im Frühjahr 2022 zwei Raketen eingeschlagen und nicht explodiert, so wie schätzungsweise 15 Prozent der Munition insgesamt. Der hiesige Bauer bestellt seit Feld um die zwei Raketen herum. Sein Nachbar hingegen hat aus Angst vor der tödlichen Hinterlassenschaft sein Feld seit zwei Jahren nicht mehr gepflügt und ausgesät.
Also rückt nun das zehnköpfige Team von DCA an. „Minen werden hier kaum zu finden sein“, ist sich der leitende DCA-Mitarbeiter vor Ort sicher. Aber vielleicht nicht explodierte Geschosse der Kämpfe vom Frühjahr 2022, als Mykolaiv mittendrin im Kampfgeschehen lag. Etwa 50 Tage, knapp zwei Monate wird es dauern, bis alles Meter für Meter, Quadrat für Quadrat auf nicht explodierte Munition abgesucht ist.
Dabei ist das Feld bei Mykolaiv nur ein winziger Bruchteil der mit Minen verseuchten Fläche in der Ukraine. Andrij Waskowycz vom Kiewer Büro der Diakonie Katastrophenhilfe berichtet von Expertenschätzungen, wonach das kontaminierte Territorium in der gesamten Ukraine etwa halb so groß wie Deutschland ist. Das Thema Landminen werde das Land damit noch auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen.
Aufklärung, um Bevölkerung zu schützen
Nötig sei dabei auch dringend Aufklärung der Bevölkerung. So seien sich etwa Kinder der Gefahr durch Minen oft nicht bewusst. Genau hier setzt die deutsche Diakonie Katastrophenhilfe mit ihrem ukrainischen Partner East SOS an: In Kursen werden Lehrer geschult, wie sie Kinder über die Gefahren durch Minen und den richtigen Umgang damit im Fall der Fälle aufklären können.
Und Andrij Waskowycz von der Diakonie Katastrophenhilfe aus Kiew macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Während große Agrarbetriebe auf mehr oder weniger rasche Hilfe bei der Minensuche hoffen können, bleiben kleine Betriebe zunächst eher außen vor – und mit der möglicherweise tödlichen Gefahr im Boden zunächst allein.