„Sterben“, hat der begnadete amerikanische Komiker und Regisseur Woody Allen einst gesagt, „kann nicht so schlimm sein; sonst würden es ja nicht so viele tun.“ Nun ist Sterben bekanntermaßen weitaus komplexer als diese Erkenntnis und hinterlässt in der Regel vor allem eines: Grenzenlose Trauer bei den Hinterbliebenen. Es ist ein wesentlicher Teil der christlichen Religion – und auch der meisten anderen Glaubensrichtungen –, dass man für die Trauerbewältigung mit Friedhöfen Orte geschaffen hat, an denen man den Verstorbenen nah sein und ihrer gedenken kann.
Ein ganz besonderer Ort ist in dieser Beziehung das Kolumbarium in der Soester Paulikirche, das es seit zehn Jahren gibt und im Bereich der Evangelischen Landeskirche – und wohl auch darüber hinaus – ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Ein Kolumbarium ist eine Art Grabkammer für Urnen. In Soest befindet sich das Kolumbarium in einem Gotteshaus, in dem auch weiterhin wöchentlich Gottesdienste sowie Taufen und Trauungen gefeiert werden. Der Tod und das mitunter pralle Leben gehen hier eine außergewöhnliche Symbiose ein.
Gleichzeitig erfährt damit die jahrhundertelang gelebte Sitte, die Toten direkt neben der Kirche zu bestatten, eine neue, moderne Interpretation. Pfarrer Christian Welck spricht in diesem Zusammenhang daher auch gerne von der „Gemeinschaft der Heiligen“, die sich hier zusammenfindet: „Mit der Integration eines Friedhofes in den Kirchraum wird dieses alte christliche Selbstverständnis neu aufgenommen und im Kirchraum erfahrbar. Lebende und Tote gehören als Gemeinschaft der Heiligen gleichermaßen zu Gott und finden unter dem Dach seines Hauses ihr wahres Zuhause.“
Halb Gottesdienstraum, halb Kolumbarium
Dem Beschluss, die mittelalterliche Kirche, die 1229 erstmals urkundlich erwähnt worden ist, um ein Kolumbarium zu ergänzen, ist in der Kirchengemeinde im Herzen der Soester Altstadt eine lange und intensive Diskussion vorausgegangen, an die sich Welck lebhaft erinnert: „Von Beginn an stand fest, dass wir weiterhin auch eine kirchliche Nutzung wollten, halb Gottesdienstraum, halb Kolumbarium. Das ist in der Kirchengemeinde gut angekommen. Die hat erfreulich positiv reagiert; es hat praktisch keine Widerstände gegen unsere Idee gegeben. Die Kirchengemeinde hat das klare, unmissverständliche Signal erhalten: Wir geben die Kirche nicht auf, sondern erweitern sie um die Nutzung als Friedhof.“
Um dieses zu erreichen, wurde 2008 ein Architekten- und Künstlerwettbewerb ausgeschrieben, der Entwürfe aus ganz Deutschland nach sich zog. „Darunter“, so Welck, „waren schon bemerkenswerte Gestaltungsideen“. So etwa eine zehn Meter hohe Urnenwand. „Das sah fantastisch aus, aber für die Beisetzungen im oberen Bereich hätten wir jeweils einen Hubwagen einsetzen müssen“, macht der Pfarrer deutlich, warum man sich für einen weniger gewagten Entwurf entschieden hat.
Das Rennen hat die Idee des Soester Architekten Hannes Knickenberg gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil er ein Büro in der Paulistraße in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche unterhält und dem Gotteshaus daher besonders verbunden ist. Welck: „Wichtig war uns, dass wir nicht nur eine leb- und lieblose Urnenwand bekommen. Wir waren uns alle einig: Wenn wir das machen, muss das richtig, richtig gut werden. Und genau das ist es geworden.“
Der Knickenberg-Entwurf beinhaltet acht Stelen mit insgesamt 672 Begräbnisplätzen in 224 Einzel- und 224 Doppelkammern. Sie bilden einen Halbkreis, der sich zum Kirchenschiff hin öffnet. Dadurch sind die Grabstellen auf den Altar mit seinem gotischen Altarbild – den zentralen Ort der Kirche – bezogen. Die Toten sind damit gleichsam in das fortdauernde Gotteslob der Gemeinde einbezogen.
Die Stelen sind aus sandgestrahltem Edelstahl, während die Grabplatten aus Baumberger Sandstein sind. Dadurch ist ein Ensemble entstanden, das seine Neuheit nicht verleugnet und sich dennoch in den historischen Kirchenraum einfügt.
Christian Welck ist überzeugt: „Das Kolumbarium in der Paulikirche ist ein würdiger Ort des Gedenkens. Er strahlt eine gewisse Schlichtheit und Einfachheit aus und passt daher ausgezeichnet in dieses Gotteshaus. Hier ist man mit seiner Trauer nicht allein, sondern erlebt ein ganz besonderes Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit.“
Kunstwerk: Stationen des menschlichen Daseins
Dazu trägt ganz wesentlich als verbindendes Element auch das Glaskunstwerk „Auferstehung“ der Künstlerin Anna Pauli bei. Auf der Grenze zwischen Kolumbarium und Gottesdienstraum durchzieht ein 32 Meter langes und 1 Meter hohes farbiges Glasband die Kirche. Das Kunstwerk variiert auf vielfältige Weise das Thema „Lebenslinien“. Die unterschiedlichen Stationen des menschlichen Daseins vom Anbeginn des Lebens bis zum Ende werden im Verlauf des Glasbandes nachgezeichnet: Geburt, Kindheit, Jugend, Lebensmitte, Alter, Tod.
Dabei ist das Kunstwerk bewusst abstrakt gehalten und bietet so Raum für unterschiedliche und individuelle Interpretationen. Dazu Christian Welck: „Jeder Betrachter ist eingeladen, sich sein eigenes Bild von den Lebenslinien zu machen und seinen eigenen Erfahrungen mit auf die Spur zu kommen.“
In den zehn Jahren seines Bestehens hat das Pauli-Kolumbarium große Aufmerksamkeit und bei den Bürgern in und um Soest eine Resonanz erzeugt, so dass ohne Zweifel von einer echten Erfolgsgeschichte gesprochen werden kann. Die Hälfte der Einnahmen aus den Nutzungsrechten – das sind 14 000 Euro im Jahr – werden für den Erhalt der Paulikirche verwendet. „Die Nutzungsrechte liegen damit weit über dem Soll“, verrät der Pfarrer und ergänzt: „Gerade in einer Zeit, in der sich die Beerdigungskultur stark wandelt – immer mehr Urnengräber, immer häufiger anonyme Beisetzungen –, ragt diese Sonderform der christlichen Bestattungskultur heraus.“
Die Nutzungsrechte für jede einzelne Urnenkammer sind zunächst auf zwanzig Jahre ausgelegt, können aber bei Bedarf verlängert werden. Auch danach bleibt die Asche der Toten in der Kirche: Unterhalb der Kirche ist eine große Kammer. Hier wird die Asche final für die allerletzte, ewige Ruhe aufbewahrt. „Wer einmal in der Paulikirche beigesetzt ist, soll dauerhaft mit diesem Ort verbunden sein und auf ewig in diesem Gotteshaus ruhen können“, sagt Welck. So wie es in Psalm 23 beschrieben ist: „Du bereitest vor mir einen Tisch und schenktest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“