Rettungsdienste und Notfallambulanzen der Krankenhäuser in Deutschland sind überlastet. Karl Lauterbach will das ändern. Patienten sollen besser durchs medizinische System gesteuert werden.
Die Diagnose ist schon lange gestellt. Die medizinische Notfallversorgung in Deutschland ist selber reif für die Intensivstation. Überfüllte Notfallambulanzen in Kliniken, überlastete Ärzte und wegen langer Wartezeiten genervte Patienten. Dazu viele nicht sinnvolle Krankenhausaufenthalte sowie vermeidbare Transporte des Rettungsdienstes.
Zu besichtigen ist eine dramatische Fehlsteuerung in Krankenhäusern und bei den Rettungsdiensten, wie Gesundheitspolitiker und Ärzte seit Jahren kritisieren. Der Handlungsdruck ist groß. Ein Drittel der Patienten komme mit Bagatell-Erkrankungen in die Notaufnahmen; sie könnten genauso gut vom Hausarzt oder vom Notdienst der niedergelassenen Ärzte behandelt werden, heißt es. Vielen Bürgern sei nicht klar, dass sie statt der Notrufnummer 112 auch die ärztliche Bereitschaftshotline 116117 anrufen können. 2021 wurden in rund 1.600 Krankenhäusern mit Notfallambulanzen rund 9,8 Millionen ambulante Notfälle behandelt.
Deutschland habe im Notfallbereich “unheimlich große Probleme”, sagt beispielsweise der Kölner Intensivmediziner Christian Karagiannidis. “Schaut man sich an, wer in die Notaufnahmen in Deutschland kommt, dann zeigt sich, dass dort extrem viele 80- bis 90-Jährige hinkommen”, betonte das Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im Interview der “Ärzte-Zeitung”. Häufig stehe bei diesen Patienten mehr ein Versorgungsproblem im Vordergrund als eine schwere Erkrankung.
Karl Lauterbach will das ändern: Am Dienstag hat er Eckpunkte für eine Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Sie soll nach seinen Vorstellungen im Januar 2025 in Kraft treten. Das Ziel: eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten sowie eine Entlastung der Beschäftigten in den Notaufnahmen und Rettungsdiensten. Dazu sollen der Notdienst der Kassenärzte, die Notaufnahmen der Krankenhäuser die Rettungsdienste stärker vernetzt werden.
“Im Notfall sollen Patientinnen und Patienten dort behandelt werden, wo sie am schnellsten und am besten versorgt werden. Das muss nicht immer das Krankenhaus sein”, erklärte der Gesundheitsminister am Dienstag. In vielen Fällen sei der ärztlich Notdienst sehr viel sinnvoller. Häufig reiche auch der Besuch am nächsten Tag in der Hausarztpraxis.
Konkret sieht Lauterbach vor, die bestehenden Notdienstnummern von Rettungsdienst (112) und Kassenärzten (116 117) zu vernetzen. Hilfesuchende sollen unter beiden Nummern eine telefonische oder telemedizinische Ersteinschätzung erhalten und dann der für sie am besten geeigneten Notfallstruktur zugewiesen werden. Dabei will der Minister konkrete Vorgaben für die personelle Besetzung, die Qualifikation des Personals und die zeitliche Erreichbarkeit der Anlaufstellen sowie die Wartezeiten für Patienten machen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen rund um die Uhr eine telemedizinische Versorgung und Hausbesuche bereitstellen.
Bundesweit sollen zudem an Krankenhäusern Integrierte Notfallzentren für Patienten aufgebaut werden, die sich direkt in eine Klinik begeben – bei ausreichender Kapazität auch für Kinder und Jugendliche. Sie sollen aus einer Notaufnahme des Krankenhauses, einer kassenärztlichen Notfallpraxis sowie einem “Tresen” als zentrale Entscheidungsstelle bestehen. Auch hier sollen Patienten nach einer Erstbefragung entweder in die Notaufnahme oder die Notfallpraxis überwiesen werden.
Lauterbachs Eckpunktepapier betont, dass zugleich auch zwingend eine Reform des Rettungsdienstes notwendig sei. So müssten die Rettungsdienste mit den Notfallzentren und Notdienststellen im digitalen Kontakt stehen und Zugriff auf die elektronischen Patientenakten der Patienten erhalten. Auch sollen Gemeindenotfallsanitäter, Notfallpflegeteams oder Telenotfalldienste die Notfallmedizin entlasten und effizienter machen.
Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und selber Notfallmediziner in Berlin, begrüßte die Vorschläge. Sie seien ein Schlüssel für eine qualitativ bessere Versorgung und gleichzeitige Verringerung von Ausgaben der Sozialversicherung.