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Lateinamerikas Linke in der Defensive

Javier Milei jubelte überschwänglich: „Die Argentinier haben gesagt, Schluss mit dem Populismus“, rief der ultrarechte Präsident, als seine Partei „La Libertad Avanza“ („Die Freiheit schreitet voran“) bei den Teilwahlen zum Parlament in Argentinien vor wenigen Wochen einen überraschend deutlichen Sieg davontrug. Auch Donald Trump feierte – mit einer Milliardenspritze aus den USA waren die Finanzmärkte beruhigt worden, was Mileis Triumph erst ermöglichte. „Wir konzentrieren uns sehr auf Südamerika und sind dabei, dort großen Einfluss zu gewinnen“, sagte der US-Präsident.

Ratlosigkeit herrscht hingegen bei den Peronisten, der argentinischen Mitte-Links-Partei. Zwei Jahre, nachdem der Exzentriker Milei sie zum ersten Mal besiegt hatte, sind neue politische Ideen immer noch Mangelware, die wichtigsten Protagonisten sind zerstritten. Hauptverantwortliche ist Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die wegen Korruption Hausarrest verbüßt. Als Parteichefin verhindert sie einen Generationenwechsel.

Die Lage in Argentinien ist symptomatisch für linke Parteien in Lateinamerika. In Bolivien etwa beschleunigte der langjährige indigene Präsident Evo Morales den Niedergang seiner „Bewegung zum Sozialismus“, die nach 20 Jahren an der Macht nun von dem Christdemokraten Rodrigo Paz abgelöst wurde. Zu ihrer deutlichen Niederlage bei den Wahlen trug ebenfalls heftiger interner Streit bei, vor allem aber Hilflosigkeit angesichts einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise. Auch in Chile scheiterte die Regierung von Gabriel Boric mit wichtigen Reformvorhaben.

Nicht nur in Lateinamerika sind progressive Kräfte in der Krise, doch auf dem Subkontinent hat sich die Stimmung in den vergangenen 15 Jahren besonders dramatisch verschoben. 2005 verhinderten linke Präsidenten noch das US-Projekt einer Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, bald darauf wurden die meisten Länder Südamerikas von linksgerichteten Staatschefs regiert. In der Verfassung Ecuadors wurden die „Rechte der Natur“ festgeschrieben. Auf den Weltsozialforen in Brasilien forderten soziale Bewegungen einen tiefgreifenden ökosozialen Wandel.

Sämtliche Regierungen profitierten von hohen Weltmarktpreisen für Erdöl, Soja oder Kupfer. Mit den Einnahmen aus diesem Rohstoffboom weiteten sie ihre Sozialprogramme aus, Millionen Menschen stiegen aus der Armut in die Mittelschicht auf. Mit den Nachbeben der Weltwirtschaftskrise der Jahre 2007/2008 verblassten diese Erfolge. Lateinamerikas alte Probleme wie die Kluft zwischen Arm und Reich, die Abhängigkeit von Rohstoffen, Korruption und Drogenhandel traten umso deutlicher hervor.

Reformistische wie „revolutionäre“ Projekte scheiterten gleichermaßen. Venezuelas „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ mündete unter Staatschef Nicolás Maduro gar in eine Diktatur. Reformorientierte Vorhaben verstricken sich teilweise in Widersprüche. So hat sich zwar unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien, wo derzeit die Weltklimakonferenz läuft, die Zerstörung des Regenwaldes verlangsamt, doch vor kurzem genehmigte er Projekte zur Erdölförderung an der Amazonas-Mündung.

„Den Mitte-Links-Kräften fehlt eine Vision für die großen Themen des 21. Jahrhunderts“, sagt Svenja Blanke von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Buenos Aires: „Sie denken häufig in Kategorien der Vergangenheit und haben daher ein Repräsentationsproblem“. Die Lateinamerika-Expertin verweist außerdem auf die „Machtfülle der Finanz- und Tech-Wirtschaft“ und die Schwierigkeit, „in individualistischen, konsumorientierten Gesellschaften Gemeinschaft zu schaffen und zu organisieren“.

Souverän behaupten sich derzeit nur noch drei progressive Präsidenten in Lateinamerika: Neben Lula und dem Uruguayer Yamandú Orsi ist da vor allem Claudia Sheinbaum, die dank einer beherzten Sozialpolitik in Mexiko äußerst populär ist.

Die nächste Niederlage für die lateinamerikanische Linke bahnt sich in Chile an. Am 14. Dezember steht dort die Stichwahl ums Präsidentenamt an, und der Ultrarechte José Antonio Kast hat gute Chancen, die Kandidatin der Regierungskoalition, die gemäßigte Kommunistin Jeannette Jara, zu schlagen. Argentiniens Staatschef Milei hätte dann einen Verbündeten im Nachbarland.