Hannover. Auch wenn um den Bolzkäfig am Stadtteilzentrum in Hannover-Stöcken ein großes Gewimmel herrscht: Den Jugendlichen, die darin Fußball spielen, ist das offenbar egal. Sie scheint auch nicht zu kümmern, dass die versammelten Menschen nicht ihre Dribblings und Schüsse beäugen, sondern auf den Turm der früheren evangelischen Corvinuskirche schauen.
Sie wurde 1962 gebaut und 2012 entwidmet. Eine Abbruchfirma hat das Kirchenschiff und das anliegende Gemeindehaus in den vergangenen Wochen schon abgerissen. Zuvor wurde die Corvinus-Orgel verkauft und wird künftig in Bukarest erklingen. Nun brachten Mitarbeitende des Unternehmens am frühen Morgen acht Kilogramm Sprengstoff im Turm unter, die ihn gleich zu Boden reißen werden.
Denkmalschützer verlieren vor Gericht
Pastor Gerd Peter erzählt, für seine Kirchengemeinde Ledeburg-Stöcken gehe gerade „ein langwieriger, schmerzhafter Abschiedsprozess zu Ende“. Denkmalschützer und die Kirchengemeinde hatten lange um den Abriss gestritten, den die Gemeinde aus wirtschaftlichen Gründen forderte. Vor Gericht konnte sie sich nicht durchsetzen, 2017 erlaubte aber Niedersachsens Wissenschafts- und Kulturministerium das Ende.

Mit ihrem zeltförmigen Dach sei die Corvinuskirche schon besonders schön gewesen, finden Gerd und Marion Hengstmann, die vor der Entwidmung regelmäßig Gottesdienste in der Kirche besuchten und jetzt die Sprengung anschauen wollen. Auch von der aktuell noch genutzten Bodelschwinghkirche im Nachbarstadtteil Ledeburg müssen sich die Hengstmanns wie alle Gemeindemitglieder bald verabschieden: Sie wird am 2. Weihnachtsfeiertag entwidmet und anschließend abgerissen. An ihrer Stelle entstehen 45 Wohnungen.
Nach der Sprengung soll anstelle der Corvinuskirche bis Mitte 2023 ein Gemeindezentrum entstehen. Pastor Peter sagt, gemeinsam mit der zweiten Gemeindepastorin Annette Charbonnier versuche er, die Sorgen der Gemeindemitglieder aufzufangen, vor allem in persönlichen Gesprächen und mit Erinnerungsgottesdiensten. Auch wenn er sich auf den zeitgemäßen Neubau freue: Klar sei, dass der Abschied von beiden Kirchen tiefe Gefühle berühre und Trauer auslöse.
Ein Piepton und los geht’s
Die Einsatzkräfte schieben noch ein Auto in der Nähe des Turms beiseite, dann ertönen mehrere Pieptöne. Sprengmeister Karl-Heinz Bühring kündigt damit nicht nur die Sprengung an – indirekt pfeift er auch das Fußballspiel im Bolzkäfig ab.
„Was ist da eigentlich los?“, fragt einer der kickenden Jugendlichen. Kurz danach kippt der Kirchturm mit einem lauten Knall zu Boden. Einige Minuten später hat sich der aufgewirbelte Staub gelegt, die 90 Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Häuser dürfen in ihre Wohnungen zurückkehren.
Was von der Kirche übrig bleibt
„Das war schon ein emotionaler Moment“, sagt Pastor Peter hinterher. Viele Menschen hätten mit ihm vor der Sprengung nochmal über die Erlebnisse gesprochen, die sie mit der Kirche verbinden. Doch so ganz ist die Kirche nicht gegangen: Im neuen Kirchenzentrum werden die Taufschale aus der Corvinuskirche und die Glocken aus der Bodelschwinghkirche an die früheren Kirchen erinnern. (epd)