Der Bundesrat hat sich erneut für eine Reform der bisherigen Organspende-Regeln ausgesprochen. Eine Widerspruchsregelung könnte aus Sicht der Länder zu mehr Spenden führen. Doch es gibt gravierende ethische Einwände.
Um mehr schwerkranken Menschen in Deutschland ein lebensrettendes Spenderorgan zu ermöglichen, dringen die Bundesländer auf neue Regeln. Der Bundesrat beschloss am Freitag, einen Gesetzentwurf zur Einführung einer sogenannten Widerspruchslösung auf den Weg zu bringen. Danach würde künftig jeder Bürger grundsätzlich als Organspender gelten, der dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Ethiker und Patientenschützer sprechen sich weiterhin gegen eine solche Reform aus.
Sollte es zu einer Neuregelung kommen, könnte ein Widerspruch im 2024 gestarteten Organspende-Register, in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder auf andere Art und Weise festgehalten werden. Derzeit ist eine Organentnahme nur zulässig, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.
Der Bundesrat hatte bereits im Juli 2024 einen Gesetzentwurf für eine Änderung in den Bundestag eingebracht. Er ist aber wegen der Neuwahlen in diesem Jahr inzwischen verfallen. Eine Frist, bis wann sich der Bundestag mit dem neuen Entwurf befassen muss, gibt es nicht.
Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, sagte, eine Widerspruchsregelung würde massiv schaden und das Vertrauensdefizit in die Transplantationsmedizin verstärken. Wenn es um Leben und Tod gehe, dürfe Schweigen niemals als Zustimmung gewertet werden, sagte der evangelische Theologe und Ethikprofessor im Sender WDR 5. Alles andere widerspreche einem Grundprinzip der Medizinethik in Deutschland.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte ebenfalls, Schweigen sei keine Zustimmung. “Auch greift die Widerspruchslösung erheblich in die körperliche Unversehrtheit ein. Schließlich müssen vor der Feststellung des Hirntods medizinische Maßnahmen ergriffen werden, um eine mögliche Organentnahme nicht zu gefährden”, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er widersprach auch der Einschätzung, dass allein eine Widerspruchslösung zu viel mehr Transplantationen führen werde.
Deutschland liegt bei der Zahl der Organspenden im europaweiten Vergleich seit Jahren am unteren Ende der Tabelle. Im vergangenen Jahr spendeten in Deutschland 953 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe. Die Summe der nach dem Tod entnommenen Organe lag bei 2.854. Zugleich standen mehr als 8.100 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
Ethiker Dabrock sprach sich erneut für eine Entscheidungspflicht aus. Dabei würde jeder Erwachsene sich etwa bei der Ausstellung des Personalausweises zu seiner Haltung zur Organspende äußern müssen. Die Entscheidung würde in einem Zentralregister erfasst werden, wobei sie jederzeit revidierbar wäre.
Wie auch Patientenschützer Brysch kritisierte Dabrock zudem, dass viele bereits beschlossene Schritte zur Erhöhung der Zahl der Organspenden bislang nicht oder nur unzureichend umgesetzt seien. Befürworter einer Widerspruchslösung argumentieren demgegenüber, dass alle beschlossenen Maßnahmen bislang nichts gebracht hätten und deshalb eine Neuregelung nötig sei.
Zu den Gegnern einer Widerspruchsregelung gehört auch die katholische Kirche. Eine Organspende müsse eine freiwillige Gabe und ein Ausdruck von Nächstenliebe bleiben, argumentieren die deutschen Bischöfe.