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Kulturhauptstadt Chemnitz will Verständnis und Toleranz fördern

Im kommenden Jahr steht Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas im Blickpunkt des Interesses. Die Stadt hat einiges zu bieten – auch kulinarisch und kirchlich. Was wohl ihr früherer Namensgeber Karl Marx dazu sagen würde?

Langsam wird es ernst: Am 18. Januar startet Chemnitz mit einem ganztägigen Programm das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt. Dabei werden auf drei Bühnen in der Chemnitzer Stadthalle mehr als 60 der insgesamt 160 geplanten Projekte präsentiert. Erwartet werden hochrangige Vertreter der Europäischen Union, des Bundes und des Freistaates, wie die Organisatoren auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mitteilten. Am 19. Januar gibt es ein Bühnenprogramm in der Innenstadt und ein europapolitisches Gespräch in der Hartmannfabrik, dem Besuchs- und Informationszentrum.

“Als Kulturhauptstadt Europas steht Chemnitz 2025 im internationalen Fokus. Damit bietet sich eine herausragende Chance zu zeigen, was die Investition in Kultur, in das Engagement der Menschen und in europäischen Austausch bewirken”, betont der Programmgeschäftsführer von Chemnitz 2025, Stefan Schmidtke. So könne man zeigen, dass Begegnung und Miteinander Verständnis und Toleranz förderten.

Das scheint auch nötig zu sein. So mancher verbindet Chemnitz mit Rechtsextremismus und Gewalt. Bilder von einer Stadt im Ausnahmezustand gingen im September 2018 nach einem tödlichen Messerangriff auf einen Deutsch-Kubaner um die Welt, als sich tagelang Rechtsextreme aus der ganzen Republik auf den Straßen zusammenrotteten und zu Hetzjagden aufriefen. In Chemnitz lebte auch jahrelang unentdeckt das NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.

Davor verschließt die Kulturhauptstadt aber nicht die Augen: Voraussichtlich im Mai soll im ehemaligen Stadtwerkehaus ein NSU-Dokumentationszentrum eröffnen – zur weiteren Aufarbeitung des rechtsextremistischen NSU-Terrors und als Begegnungsstätte.

Etwas spielerischer verläuft die Aufarbeitung der sozialistischen Ära. 1953 wurde Chemnitz auf Beschluss der DDR-Regierung in Karl-Marx-Stadt umbenannt. Eine Art Vorzeigemodell des Arbeiter- und Bauernstaates mit vielen Plattenbauten sollte die Stadt werden. Die protzige, 13 Meter hohe Karl-Marx-Büste im Zentrum wurde zum bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Als die DDR 1990 zu Ende ging, wurde Chemnitz wieder Chemnitz, doch die Büste blieb. Heute kann man das Wahrzeichen in Miniatur und in verschiedenen Farben in diversen Läden erwerben. Der Vordenker der DDR-Diktatur als Pop-Phänomen – so ironisch kann Kapitalismus sein.

Doch das Motto für das Kulturhauptstadtjahr “C the Unseen” (Sieh’ das Ungesehene/Das ungesehene C) stimmt trotzdem: Es gibt mehr in Chemnitz zu entdecken. Neben den traditionellen Kulturinstitutionen wie Schauspielhaus, Industriemuseum und dem über die Grenzen der Region bekannten Staatlichen Museum für Archäologie sind es die sogenannten Orte des Aufbruchs. Damit sind brachliegende Industriehallen und Gewerbehöfe gemeint, die man im Zuge des Kulturhauptstadt-Status flott machen möchte für Start-ups, Kreativwirtschaft und Industrie 4.0, wie es im Programm heißt.

Einen regelrechten Kult-Status hatten zu DDR-Zeiten die Garagen, die so viel mehr als nur ein Autostellplatz waren – ein Mikrokosmos der besonderen Art. Das Kunstprojekt #3000Garagen widmet sich als ein Schwerpunkt im Kulturhauptstadtjahr den rund 30.000 Garagen der Stadt. Diese waren soziale Räume, wie Kulturexpertin Jenny Zichner erzählt: “Menschen verbrachten in den Garagenhöfen gemeinsam ihre Freizeit, liehen sich Werkzeug oder tranken Bier.”

Dass Chemnitz auch kulinarisch einiges zu bieten hat, ahnt man, wenn gelegentlich mobile Bäckereien und Konditoreien im Stadtbild auftauchen oder man über den Wochenmarkt schlendert, auf dem Obst und Gemüse angeboten werden. Beim Wettbewerb “So schmeckt Kulturregion”, der auch in das Kulturhauptstadtprogramm integriert ist, wurden im Dezember darüber hinaus originelle und nachhaltige Speisen aus Chemnitz und Umgebung präsentiert – von Bergmannsbrot bis Miriquidi-Tofu-Schinken, von Apfel-Calvados-Fruchtaufstrich bis Vogelbeersenf. Bei einer Stadt, die sich im Laufe ihrer Existenz häufig neu erfinden musste, ist eine solche Kreativität eigentlich keine Überraschung.

Dass zur Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 auch ein Kirchenprogramm gehört, würde wohl Karl Marx überraschen. Es wird vom ökumenischen Verbund “Kulturkirche 2025” gestaltet und steht unter dem Motto “Neu sehen, neu schätzen, neu stärken” und soll übersehenen Menschen und Orten mit ihren Geschichten einen Raum geben. Geplant sind Ausstellungen, Gesprächsrunden und Begegnungsaktionen, Pilgerwege und Konzerte. Nachhaltigkeit im spirituellen Sinne.